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Kim Jong-un, gewiefter Taktiker

Artikel erschienen bei FAZ.NET (28.03.2018)

Von Martin Benninghoff

Mit dem Empfang durch Chinas Staatspräsidenten Xi gelingt Nordkoreas Machthaber ein kleiner strategischer Befreiungsschlag. Und auch Peking ist zurück im Spiel. Eine Analyse.

Kein Land der Welt umnebelt sich mit so viel Geheimnissen wie Nordkorea. Warum sollte es bei einem simplen Staatsbesuch anders sein? Und so hat sich heute erst bestätigt, was seit Sonntag die Runde machte: Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un könnte zu seinem ersten Staatsbesuch im Ausland sein – in Chinas Hauptstadt Peking.

Wobei: Ganz so simpel war dieser Staatsbesuch natürlich nicht. Er ist nach Jahren der diplomatischen Eiszeit mit dem traditionellen Verbündeten China ein mächtiges Signal in mehrere Richtungen, so mächtig wie die sorgsam arrangierten und choreografierten politischen Volten Pjöngjangs und Pekings nun mal sind. Nordkorea will sich mit dem Treffen wieder mehr Spielraum verschaffen, sich aus der Situation der vollständigen Isolation befreien, in die es sich selbst hineinmanövriert hatte. Und China meldet sich wieder zurück, als wichtige Stimme im diplomatischen Nervenkrieg, den bislang Nordkorea und Amerika (besser: der amerikanische Präsident Donald Trump) beherrschen.

Oftmals unwirsch und unzufrieden

China ist der traditionelle Verbündete Nordkoreas, kämpfte im Korea-Krieg auf Seiten von Kim Jong-uns Großvater Kim Il-sung und hat sich stets für den kleinen Bruderstaat eingesetzt, wenn auch oftmals unwirsch und unzufrieden. Zuletzt jedoch war das Verhältnis extrem abgekühlt: China trägt die UN-Sanktionen mit, macht hin und wieder die Grenzen dicht für chinesische Touristen und setzt das Land auch auf internationalem Parkett für seine Verhältnisse stark unter Druck. Einen “regime change“ wollen die politisch Verantwortlichen in Peking nicht, aber auch keine Atommacht Nordkorea. Zwar ist China in wirtschaftlicher Hinsicht nicht auf die Importe Nordkoreas angewiesen, andererseits will Peking um fast jeden Preis verhindern, dass um Nordkorea ein Krieg entbrennt, der die Region in politischer und ökonomischer Hinsicht völlig destabilisieren könnte. Alleine deshalb ist eine Entspannung der Krise auf der koreanischen Halbinsel im Interesse Chinas.

Zudem war zuletzt aufgefallen, dass China im Konflikt um das nordkoreanische Atom- und Raketenprogramm offenbar nur noch wenig mäßigenden Einfluss auf den kleinen Bruderstaat geltend machen konnte. Der Streit, die rhetorischen Scharmützel liefen ohnehin zwischen Nordkorea und Amerika ab, China war fast zum Zuschauer verdammt. Mit den öffentlichkeitswirksamen Fernsehbildern auf dem chinesischen Staatssender CCTV setzt Staatspräsident Xi Jinping das Signal, wieder mitzuspielen, ein deutliches Signal: Wenn man die sorgsam ausgewählten Bilder anschaut, beschleicht einen der Eindruck, hier kommt der kleine Bruder (Kim Jong-un) zum großen Bruder (China) zum Rapport. Die Bilder sprechen eine klare Sprache: Die Kräfteverhältnisse sind wieder hergestellt.

Wohlstand statt Isolation für Nordkorea?

Der Besuch Kims lässt sich vorsichtig auch als diplomatischer Hilferuf an China interpretieren. Kim Jong-un hat – nach allem was wir wissen – sein Ziel erreicht, Nordkorea zur Atommacht aufzubauen. Dass das Raketenprogramm noch im Aufbau begriffen ist und die Frage nur bedingt geklärt ist, wie und an welchen Stellen das Land den amerikanischen Kontinent bedroht, spielt nur eine nebensächliche Rolle. Fakt ist, Südkorea sowieso, Japan und wohl auch Teile Amerikas liegen direkt im Fadenkreuz möglicher nordkoreanischer Angriffe, das Bedrohungspotential wirkt also aus Sicht Pjöngjangs bestens.

Kims zweites zentrales Ziel, die Verbesserung des Lebensstandards seiner eigenen Bevölkerung, ist jedoch nur unzureichend erfüllt. Zwar hat sich die Versorgungslage entspannt, und auch die Anzahl von Konsumgütern fast aller Art im Land zeigt eine Wohlstandskurve, die langsam nach oben verläuft. Aber: Dieser Pfad ist unter kompletter internationaler Isolierung kaum zu halten, das weiß Kim Jong-un. Deshalb muss er zumindest den alten Verbündeten und wichtigsten Handelspartner China aus der Phalanx der Sanktionsländer herauslösen, um ökonomisch und politisch wieder mehr Raum für sich und seine Politik zu schaffen.

Wenn Kim Jong-un China wieder stärker an seiner Seite weiß, wird ihm das auch in möglichen Verhandlungen und dem anberaumten Gipfeltreffen mit Donald Trump eine strategische Hilfe sein, eine weitere Option, Druck auf Amerika auszuüben. Der Knackpunkt wird sein, ob sich Nordkorea zur atomaren Abrüstung bereit erklärt. Auffällig ist, dass im nordkoreanischen Staatsfernsehen bislang von Denuklearisierung keine Rede ist. Kim hat in China im Gegenzug Bedingungen von großer Vagheit genannt: „Die Frage der Entnuklearisierung der koreanischen Halbinsel kann gelöst werden, wenn Südkorea und Amerika auf unsere Bemühungen mit Wohlwollen reagieren, eine Atmosphäre des Friedens und der Stabilität schaffen, während gleichzeitig progressive und synchrone Schritte in Richtung des Friedens ergriffen werden“, zitierte ihn die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua.

Im Grunde ist das die Strategie, die Pjöngjang seit langem verfolgt. Geschäft und Gegengeschäft. Dass Kim eine vollständige Denuklearisierung wirklich anstrebt, ist allerdings äußerst zweifelhaft: Denn damit würde er sich der Waffe berauben, die sein Regime schützt und ihn und sein eigentlich kleines Land immer wieder an den Verhandlungstisch zurückbringt, dieses Jahr voraussichtlich sogar mit dem amerikanischen Präsidenten höchstselbst. Eines ist jedoch klar: Kim Jong-un ist ein gewiefter Taktiker, der in den ersten Jahren seiner Regentschaft nicht nur von manchen Mitstreitern in der Führung des Landes, sondern auch massiv von den internationalen Akteuren unterschätzt worden ist. Der kleine Bruder zum Rapport in Peking – ja, so kann man den Staatsbesuch interpretieren. Zugleich schwimmt sich Kim Jong-un ein Stück weit frei im Streit mit Amerika. Daran ändert auch nichts, dass Chinas Staatspräsident Xi aus Differenzen mit Kim keinen Hehl macht. Man habe sich „freimütig und freundschaftlich“ ausgetauscht. Eine Win-win-Situation für beide Länder. In der derzeitigen amerikanischen Regierung wird man das ungern zur Kenntnis nehmen.

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