Zum Inhalt springen

Ketten sprengen auf Nordkoreanisch

Beitrag erschienen bei FAZ.NET (18.05.2018)

Von Martin Benninghoff

Auf politischer Bühne tut sich etwas im Korea-Konflikt. Aber wie geht es den Nordkoreanern selbst? FAZ.NET zeigt exklusiv den Film „The Jangmadang Generation“ auf Deutsch. Er lässt junge, geflüchtete Nordkoreaner zu Wort kommen.

Hier kommen Sie zum Film!

Wann immer es in diesen Tagen um Nordkorea geht, steht die „große Politik“ im Mittelpunkt – vor allem das Atomprogramm und die Frage, ob sich das Regime von Kim Jong-un auf eine vollständige Denuklearisierung einlässt oder nicht. Gespannt schauen alle auf das geplante Gipfeltreffen zwischen dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump und Kim am 12. Juni, das mittlerweile doch wieder zu wackeln scheint: Wie könnte ein Deal aussehen, der es beiden Seiten erlaubt, ihn als politischen Erfolg zu verbuchen?

Vielleicht ist es nur eine subjektive Beobachtung: Aber der Eindruck drängt sich auf, dass inmitten dieser zweifellos wichtigen Zeit für die koreanische Halbinsel die ganz konkreten Lebensumstände der Nordkoreaner etwas aus dem Fokus der Weltöffentlichkeit geraten sind. Oder anders gefragt: Natürlich würde eine Denuklearisierung Koreas den Menschen dort konkret helfen, aber könnte ein politischer Deal das Regime in Pjöngjang nicht (auch) stabilisieren? Und die innere Repression damit zementieren?

Die Antwort ist spekulativ. Aber zumindest ist es nicht falsch, neben aller Weltpolitik den Blick auf die Menschen zu richten: Wie leben die rund 24 Millionen Nordkoreaner, haben sich ihre Bedingungen seit dem Antritt von Machthaber Kim Jong-un vor gut sieben Jahren geändert, vielleicht sogar verbessert? Sicher ist nur: Die Menschen in Nordkorea sind keine Außerirdischen, sie arbeiten, gründen Familien und versuchen, durchs Leben zu kommen, wie überall auf der Welt. Sicher ist, dass sich kein Mensch in einem westlichen Staat vorstellen kann, was es heißt, in einem nahezu totalitär regierten Land morgens aufzuwachen und abends in Bett zu gehen.Die Bevölkerung lebt in einem beispiellosen System der politischen Repression. Zwar gibt es seit einigen Jahren deutliche Verbesserungen beim Lebensstandard zu erkennen, alleine wenn man sich die gestiegene Zahl an Restaurants, die bessere Kleidung und Ernährung der Bewohner vor Augen führt. Im Land ist eine Mittelschicht entstanden, die zeigt, was sie hat: Handys, gelegentlich sogar Autos, Geld für Drinks. Einem größeren, kaum sichtbaren Teil vor allem fernab der glitzernd-modernisierten Metropole Pjöngjang aber geht es noch immer wesentlich schlechter als der urbanen Elite. Die Bewegungsfreiheit der Nordkoreaner ist stark eingeschränkt, Kommunikation ins Ausland praktisch unmöglich. Selbst verglichen mit anderen autokratischen Systemen sind die politischen Freiheiten für den Einzelnen in Nordkorea dramatisch gering.

Spontanität bedeutet Furcht

Über ihr Leben ist im Ausland wenig bekannt. Besucher – Touristen und Journalisten – dürfen nur an organisierten Touren teilnehmen, in der Regel begleitet von zwei Fremdenführern und einem Fahrer. Dieses Team sorgt sich zwar rührend um die Reisenden, aber es ist auch dazu da, den Gästen nur das Schöne und Entwickelte zu zeigen und sie weitgehend von der Bevölkerung zu isolieren. Gelingt einmal der Kontakt zu Einheimischen, so steht den Fremdenführern der Schweiß auf der Stirn. In Nordkorea wird nichts oder fast nichts dem Zufall überlassen: Spontanität bedeutet Furcht, Furcht vor dem „Zwischenfall“, dem nicht Vorhersehbaren, das dem Fremdenführer die Karriere und die Privilegien kosten kann. Der Druck muss für sie immens sein.

Wir wissen es praktisch nur aus den Erzählungen Geflüchteter, wie es den Nordkoreanern in ihrem Land ergeht. Durch sie gibt es exklusive Einblicke, die bei einer begleiteten Tour niemals gezeigt werden, von Armut, Mangel, Repression, von Bestrafung in den Arbeitslagern beziehungsweise Umerziehungslagern. Der Jurist Michael Kirby hat 2014 im Auftrag der Vereinten Nationen mehr als 300 Augenzeugenberichte und Flüchtlingsgeschichten zusammengetragen. Seiner Schätzung nach sind rund 80.000 bis 120.000 politische Gefangene in mehreren dieser Lager weggesperrt. Die Regierung in Pjöngjang bestreitet die Existenz solcher Lager (obwohl es Satellitenaufnahmen gibt), lässt aber auch keine Forscher oder Fachleute der Vereinten Nationen ins Land. Kirby durfte auch nicht einreisen.

Der vorliegende Film „The Jangmadang Generation“ nimmt genau diesen Augenzeugen-Blickwinkel ein und verschafft uns Einblicke in das verschlossene Land durch die Augen junger, geflüchteter Nordkoreaner, in ihren Alltag, auch hinter die Mauern in die Lager der politisch Verfolgten. Aber nicht nur: Sie erzählen auch von Solidarität, Gastfreundschaft und einem erstaunlichen Improvisationstalent.  Während der großen Hungersnot in den neunziger Jahren waren sie Kinder oder Jugendliche, und in dieser Zeit ist – so die These des Films – das Vertrauen vieler Nordkoreaner in ihren Staat endgültig verlorengegangen. Die Vertrauenskrise hat dazu geführt, dass vor allem die Jungen ihr Schicksal selbst in die Hand genommen haben, um über die Runden zu kommen.

Hoffnung durch freie Märkte

So wie Joo Yang, die sechs Jahre alt war, als sie mitansehen musste, wie die Menschen vom Hunger geschwächt auf der Straße lagen oder mit bloßen Händen Gras abrissen und aßen. Mit 14 Jahren begann sie, Sojabohnen auf den freien Märkten zu verkaufen, die überall im Land entstanden. Oder Kan Min, der mit neun Jahren von seiner Mutter getrennt worden war, und danach ein Leben als Straßendieb fristete. Oder Danbi, die Kleidung aus China über den Grenzfluss schmuggelte, ihre Freunde damit ausstaffierte, sie über den Markt laufen ließ und so den Verkauf ankurbelte. Das verbindende Element, das sind die Märkte, „Jangmadang“, das kleine Stückchen Privatwirtschaft, das die Menschen vom unzulänglichen staatlichen Verteilungssystem unabhängig macht. Zumindest ein bisschen. Und somit auch geistig ein Stück frei werden lässt.

Die Protagonisten des Films, den die internationale Nichtregierungsorganisation „Liberty in North Korea“ (LiNK) produziert hat, haben es allesamt geschafft, von Nordkorea über China nach Südkorea und Amerika zu flüchten. Nach eigenen Angaben hat die Organisation rund 800 Flüchtlingen aus China heraus geholfen – und damit aus der Gefahrenzone, denn China schickt aufgegriffene Nordkoreaner zurück in deren Heimat. Zudem helfen die Aktivisten bei der Eingliederung in die Zielgesellschaften Südkoreas oder Amerikas, was rund 3000 Dollar kostet pro Flüchtling.

Natürlich: Die bewegenden Geschichten der Flüchtlinge können nicht nachrecherchiert werden, es ist möglich, dass jemand übertreibt – aber es ist auch möglich, dass die Interviewpartner untertreiben. Solange das nordkoreanische Regime internationalen Beobachtern und Journalisten keine Chance gibt, im Land frei und ohne Einschränkung zu recherchieren, bleiben Flüchtlingsberichte (und die Geschichten von Überläufern) die einzige und mit Sicherheit auch beste Quelle, um den Vorhang Nordkoreas ein wenig zu lüften. Die Vielzahl ähnlicher Erlebnisse spricht eine deutliche Sprache. „The Jangmadang Generation“ wird bei verschiedenen Medien auf der ganzen Welt in zwölf Sprachen gezeigt, im deutschsprachigen Raum läuft der Film exklusiv bei FAZ.NET.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.