Artikel erschienen im F.A.Z.-Blog „Schlaflos“ (07.06.2018)
Von Martin Benninghoff
Das Ideal von Männlichkeit hat sich zum Glück gewandelt. Aber gerade deshalb ist es umso beschämender, dass Kindererziehung immer noch vor allem in Frauenhand ist. Wie kann das sein?
Wir wollten vieles anders machen als unsere Väter. Vielleicht weniger, als unsere Väter anders machen wollten als ihre Väter. Dazu waren wir zu sehr befreundet, die großen Autoritätskämpfe früherer Vater-Sohn-Generationen blieben aus. Aber die typische westdeutsche Hausfrauenehe – die Mutter gibt ihren Beruf zugunsten der Kinder und des Ehemannes auf, manchmal ein Leben lang, der Vater macht prinzipiell so weiter wie bisher – wollten wir nicht mehr führen. Weil wir ja moderner sind. Dachten wir.
Doch als meine Freunde Väter wurden, wiederholten sich altbekannte Muster, die wir eigentlich ad acta legen wollten. Und auch bei mir zuhause war es nicht besser: Wir sind ganz schön konventionell. Meine Frau ist seit der Geburt unseres Sohnes in Elternzeit, der Kleine ist nun 18 Monate alt. Ich selbst habe, gestückelt, insgesamt vier Monate Elternzeit genommen. Das entspricht ungefähr dem Bild, das die statistischen Daten abgeben. Zwar nehmen Väter heute mehr Elternzeit als zu den Anfangstagen der familienfreundlichen Regelung vor mehr als zehn Jahren, der Durchschnitt liegt bei etwas mehr als drei Monaten. Aber Frauen nehmen viel länger Elternzeit, im Mittel um ein Jahr. Das ist er also noch, der große kleine Unterschied.
Aber ich will hier nicht mit Statistiken langweilen. Wer tagsüber mit offenen Augen durch Deutschlands Innenstädte geht (und auf den Dörfern wird es kaum besser sein), weiß es schon längst: Kindererziehung ist noch immer größtenteils Frauensache. Hier ein paar völlig subjektive Eindrücke aus Berlin, Frankfurt, Oberursel und dem Rheinland, kein Anspruch auf Vollständigkeit:
- Auf Spielplätzen sind Väter einsam. Gefühlt um die 80 Prozent sind es die Mütter, die ihre Kinder auf die Wippe hieven oder ihnen beim Rutschen sekundieren; die Sonn- und Feiertage ausgenommen, da steigt die Väterrate enorm.
- In den Drogeriemärkten der Republik ziehen nur einige wenige Väter ihre einsamen Bahnen, derweil die Mütter die Szenerie zwischen Duschgel und Windeln beherrschen. Selbst vor dem Männerregal mit den Rasierern stehen vornehmlich Frauen, die für ihre Männer die Klingen kaufen (oder sie dann selbst benutzen).
- Bei „Tchibo“ sieht’s nicht besser aus. Mal schnell ein paar Kindersocken kaufen? UV-Kleidung für den Kleinen? Oder ein Planschbecken? Neben den kaffeeschlürfenden Rentnern männlichen Geschlechts dominieren in der Altersgruppe 20 bis 45 die Frauen.
- Oder in Krabbelgruppen: Offiziell weiß ich darüber nichts, ich war nie bei einer. Aber es ist zu vernehmen, dass der Männeranteil bei einer Frankfurter Gruppe bei eins zu sieben lag, ein Väter-Anteil von mickrigen 14 Prozent.
- Gleiches Bild im Elterncafé: Drei Männer und 15 Frauen, der Anteil der Männer also bei 20 Prozent. Ähnliches gilt für Eltern-Kind-Sportgruppen (Buggy-Sport) oder Runden zur musikalischen Früherziehung.
- Wenn das erste Kind da ist, klärt sich offenbar flugs die Rollenverteilung beim Autofahren: Papa fährt, und Mama hält die Kleinen vom Beifahrersitz aus mit Snacks und Spielen bei Laune. Das war bei meinen Omas auch nicht anders, da hatte die eine aber keinen Führerschein und die andere praktisch keine Fahrpraxis.
- Tagsüber Spazierengehen mit Kinderwagen ist die grüne Hölle! Es begegnen einem fast nur Frauen, die einander mitfühlend zunicken, wenn die Kinder unleidlich sind.
- Im erweiterten Familienkreis werden eher die Väter nach dem Beruf und die Mütter nach den Kindern gefragt. Fremde, die dem Kleinen ein Bonbon oder Gummibärchen anbieten, stellen die „Darf er das?“-Frage bevorzugt der Mutter, selbst wenn Vater und Mutter anwesend sind.
Dass irgendwas in Schieflage beim Geschlechterverhältnis in Erziehungsfragen geraten ist, hatte ich schon vermutet, als ich noch kinderlos war – und es bei Partys bei den Jungs auf dem Balkon meist etwas lustiger zuging als bei den Frauen drinnen. Heute weiß ich, warum: Selbst auf Partys können Mütter – wenn die Kinder dabei sind – nie richtig abschalten. Sie schauen, wo die Kleinen hin sind, dass sich keines den Kopf stößt, halten geschälte Äpfelchen und Möhren in Plastikboxen bereit (so wie der Outback-Farmer sein Spinnenbissgegengift immer griffbereit in der Medizinbox hat), derweil die Väter eher die Bierflasche im Anschlag haben oder sich eine Kippe drehen.
Bevor die Klischee- und Differenzierungspolizei ihr Veto einlegt: Das ist natürlich alles furchtbar klischeehaft. Ja, sicher. Und natürlich trifft das nicht auf alle zu. Aber ich habe in Hamburg gelebt, in Köln, in Berlin – und früher als Jugendlicher auch in einem 6000-Einwohner-Dorf, jetzt lebe ich wieder etwas ländlicher. Und ich komme im Arbeits-, Bekannten- und Familienkreis mit allerlei unterschiedlichen Milieus und Bildungsgraden zusammen. Natürlich gibt es eine Reihe Ausnahmen, im eigenen Freundeskreis, erst recht in Berlin, wo ohnehin einiges anders läuft als im Rest der Republik. In der Hauptstadt ist der Anteil von Freiberuflern höher, die sich die Zeit mit den Kindern leichter einteilen können. In Prenzlauer Berg oder erst recht in Neukölln (aber auch in Frankfurt-Bornheim, Köln-Sülz, Hamburg-Altona, München-Maxvorstadt) sind althergebrachte Rollenmuster sicherlich weniger präsent als in einem Eifel-Dorf. Wenn Städter nur den Fortschritt sehen, sollten sie für einen Moment ihre Blase verlassen.
Trotzdem, die wahrgenommene Tendenz ist nun mal furchtbar nah am Klischee, und am Anfang steht immer die Betreuungsfrage: Wer sich hauptsächlich um das Kind kümmert (und nicht nur morgens, abends oder mal am Wochenende), ist in den Themen so drin, dass sie den Alltag weitgehend bestimmen. Wann es Zeit für den Mittagsschlaf ist? Frag doch mal diejenige, die meistens da ist! Wie deute ich die Zeichen, wenn das Baby wie ein Täubchen gurrt oder schreit wie am Spieß? Frag doch mal diejenige, die meistens da ist! Wenn das Kind an ein Elternteil so gewöhnt ist, dass es sich vom anderen nicht ins Bett bringen lässt, ist es vorbei mit all den gut gemeinten Vorsätzen, sich die Erziehungsarbeit paritätisch zu teilen.
Daraus folgt: Die Betreuungs-Nummer-Eins hat hyperkompetent und permanent ansprechbar zu sein. Die Nummer Zwei, bei uns zuhause bin ich das, kann Verantwortung übernehmen, kann diese aber genauso wieder abgeben an die Nummer Eins. Das eröffnet Spielräume: für andere Interessen, Hobbys, Freunde und Themen. Kurzum: Die Betreuungs-Nummer-Zweien – und das sind hierzulande noch die Mehrzahl der Väter – können halbwegs so weiterleben wie zuvor, mit Einschränkungen natürlich. Wer das ändern will, muss für eine möglichst gleichverteilte Erziehungsarbeit sorgen.
Das ist nicht leicht – und von vielen nicht gewollt. Zum Beispiel von denen, die davon profitieren, den Männern, die nach der Geburt des ersten Kindes so weitermachen können wie bisher. Und von manchen Frauen, die die Verantwortung für die Kinder an sich ziehen, nicht unbedingt für die finanzielle Versorgung der Familie zuständig sein wollen, und nebenbei ganz froh sind, sich eine Zeitlang aus dem beruflichen Konkurrenzkampf zu verabschieden. Beide stecken mehr oder minder bewusst in tradierten Rollenmustern fest, die in Deutschland/West anders aussehen als in Deutschland/Ost oder auch in Frankreich. Solche Dinge sind erstaunlich veränderungsresistent, aber zu einem großen Teil kulturbedingt und nicht in Stein gemeißelt. Wer traditionell leben möchte, hat dazu viele Möglichkeiten (obwohl es auch da Anfeindungen gibt). Wer nicht so leben will, stößt schnell an die Grenzen, die das Faktische zieht.
Daraus erwächst ein System, das sich selbst ernährt: Wenn auf Spielplätzen ausschließlich Frauen das Wort führen, steigt der Anreiz nur bedingt, sich als Mann dazuzugesellen. Gibt es da so etwas wie einen Wunsch nach Homogenität? Vielleicht insofern, dass geteilte Erfahrungen einen guten Gesprächsstoff abgeben. Mehr Väter, mehr Väter-Erfahrungen, die sich zu teilen lohnen, so entsteht unter Vätern mehr Sensibilität für die Themen aus dem Erziehungsalltag. Gleiches gilt für Kindercafés und Krabbelgruppen, um die ich bisher einen möglichst weiten Bogen geschlagen habe. Das dürfte vielen Vätern durchaus gefallen: Wer frühmorgens den Sieben-Uhr-Flieger von Köln nach Berlin oder den ICE von Hamburg nach Frankfurt nimmt, wird das Gefühl nicht los, aus Versehen eine Karte fürs Männerabteil gebucht zu haben. Mir scheint – und das ist jetzt streng wissenschaftlich fundiert -, man blickt dabei nicht nur in glückliche Gesichter von Vätern, die froh sind, die Woche endlich von der blöden Familie weg zu sein.
Die gute Nachricht zum Schluss: Die Rollenverteilung bricht langsam auf, es gibt eine Entgeschlechtlichung der Tätigkeiten, die früher als typisch weiblich oder typisch männlich galten. Das Idealbild von Männlichkeit hat sich gewandelt; wo es früher für Väter peinlich war, den Kinderwagen zu schieben, gibt es heute bei jüngeren Männern nur noch in betont konservativen Milieus solche Vorbehalte. Und nach der Geburt wird stärker aufs Bonding geachtet, also darauf, dass auch Väter die Bindung zum Kind durch körperliche Nähe stärken. Aber dennoch: Wie kommt es wohl, dass Väter besonders gerne ihre Elternzeit nehmen, wenn sie mit der Familie in Urlaub fahren wollen? Und nicht dann, wenn es darum geht, den Alltag mit Kind einzurichten? Wie sagte unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einmal? „Wir müssen uns ehrlich machen.“ Tja, vielleicht sind an diesem Punkt die Väter dran.