Artikel erschienen bei FAZ.NET (08.06.2018)
Von Martin Benninghoff
Knapp 15 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland ehrenamtlich – davon aber nur etwas mehr als drei Prozent in der Politik. Woran das liegen könnte, beschreibt ein Kölner Lokalpolitiker, der die Brocken gefrustet hinwirft.
Was läuft falsch, wenn man schon mit 38 Jahren von der Politik die Nase voll hat? Marco Pagano ist noch Bezirksbürgermeister im rechtsrheinischen Kalk, seit 2004 engagiert er sich in der SPD, seit 2009 mit Mandat in der Bezirksvertretung. Eigentlich ein typischer Parteiaufstieg über den Ortsvereinsvorsitz bis zum Bezirksbürgermeisterstuhl – mit guten Aussichten, dass es so weitergeht.
Doch der Vater zweier Kinder und Informationswirt bei den Kölner Abfallwirtschaftsbetrieben hat genug: In einem emotionalen Facebook-Post ließ er seine Wähler wissen, dass „trotz der Erfolge ein großer Teil meiner politischen Arbeit für die Tonne ist“. Und: „Oft fehlte mir auch der Respekt gegenüber der ehrenamtlichen Politik, ob in der Verwaltung oder – so ehrlich muss man auch sein – auch bei vielen Menschen in den Veedeln“. Im FAZ.NET-Gespräch erklärt Pagano, was ihn derart enttäuscht und gefrustet hat.
Herr Pagano, Sie beklagen fehlenden Respekt vor ehrenamtlichen Politikern. Was ist passiert?
Die Arbeit hat auch viel Spaß gemacht. Aber was mich sehr wohl bewegt: In der Gesellschaft herrscht eine unglaublich hohe Erwartungshaltung, die man gar nicht erfüllen kann. Ständig soll man als ehrenamtlicher und unbezahlter Lokalpolitiker erreichbar sein und liefern. Rund um die Uhr. Einer will Veränderungen, andere echauffieren sich dagegen. Egal, ob Hochzeitstag oder Kindergeburtstag – wehe, Du bist mal nicht erreichbar. Man macht es keinem recht.
Hat keiner Verständnis, wenn Sie persönlich mal an einer Veranstaltung nicht teilnehmen können?
Doch. Aber nur solange man nicht selbst betroffen ist. Wenn es um das eigene Problem geht, dann zählt kein Kindergeburtstag. Und auch keine Lungenentzündung, wie ich einmal leidvoll erfahren musste. Sind sie nicht betroffen, dann hat man plötzlich Verständnis, dass auch ich Familie habe.
Was hat Sie noch gefrustet?
Der mangelnde Veränderungswille der Leute. Da wollen Sie was verändern in einem Stadtteil, finden sogar bei der Verwaltung Gehör, aber dann läuft die ganze alte Garde der Bewohner Sturm, die keine Veränderung und bloß alles so wie immer belassen will. Das macht einen mürbe.
Viele Kommunalpolitiker mussten vor allem in der Hochphase der Flüchtlingspolitik viel aushalten…
Ja, wenn Blicke töten könnten… Ich erinnere mich an mehrere Veranstaltungen, bei denen ich den ganzen Hass abbekommen habe. Da ging es um die Verteilung von Flüchtlingen und dass gut situierte Stadtteile eben auch Flüchtlinge aufnehmen müssen und nicht die ganze Arbeit und Last auf den Schultern der schwächeren Quartiere abgeladen werden darf. Das eine waren Argumente, dass die Immobilien an Wert verlieren, was ja nicht passiert ist. Darüber hinaus gab es schlichtweg Hass, Sprüche und verbale Rohheit. Klar, ein dickes Fell muss man als Politiker haben, aber das ging weit über das hinaus, was ich aushalten wollte.
Viele Lokalpolitiker verbringen ihre Sonntage am Bratwurststand auf dem Sommerfest. Sie haben Ihre Termine zuletzt reduziert – wie?
Indem ich Schwerpunkte auf meine Themen gesetzt habe: auf Verkehr und Wohnen zum Beispiel. Ich war konsequenter und habe mehr Zeit zuhause als auf Terminen verbracht. Aber das genügt eben nicht. Ich möchte mein Leben nicht mehr von den Gremien- und anderen Pflichtterminen abhängig machen. Ich habe mich auch gefragt, ob diese ständige Anwesenheitspflicht überhaupt noch zeitgemäß ist.
Und: Ist sie noch zeitgemäß?
Vor 15 Jahren, als ich angefangen habe, Politik zu machen, war es richtig, ein „Kümmerer“ zu sein, sich alles anzuhören. Aber die Zeiten haben sich geändert: Durch die Digitalisierung sind die Menschen anders vernetzt, es funktioniert nicht mehr alles über den Ortsverein oder das Dorffest. Wichtig ist doch, Erfolge zu zeigen und dafür zu arbeiten. Dafür muss man nicht zu jedem Termin. Der Sonntag war bei mir zuletzt konsequent frei von Terminen. Durch die Schwerpunktsetzung konnte ich auch verhindern, mich im Klein-Klein zu verzetteln. Aber die Frage der Ansprache ist auch eine Generationenfrage: Ältere sind manchmal noch weniger gut vernetzt und haben andere Bedürfnisse als Jüngere. Oft sind auch die Menschen in bürgerlichen Stadtteilen lauter, was Ihre Forderungen angeht, als jene aus sozial schwachen Gebieten. Da besteht die Gefahr, dass manche Bevölkerungsteile nicht mehr wahrgenommen werden.
Wie hat sich in den vergangenen Jahren das Ansehen der Politiker gewandelt?
Es ist gesunken. Irgendwo unter dem Bankräuber, aber noch knapp über dem Drogenhändler. Diese Klischees und Pauschalurteile, die man von manchem zu hören bekommt: „Der macht sich die Taschen voll“, der „Verbrecher vom Dienst“. Wer soll da noch freiwillig und ehrenamtlich Politik machen? An dieser Verrohung hat auch die AfD ihren Anteil, die pauschal verächtlich über Politiker redet und mit einfachen Botschaften eben auch bei typischer SPD-Klientel teilweise punkten kann. Aber ich verstehe manchmal auch: Wieso sollen die Leute dich noch wählen, wenn du nicht so häufig Ergebnisse liefern kannst, weil du eben auch von Verwaltung und anderen nicht beeinflussbaren Faktoren abhängig bist? Dann sucht man sich eben eine Alternative, im wahrsten Sinn des Wortes.
Wie könnte man das Politiker-Image verbessern?
Man könnte aus dem Ehrenamt einen Posten für Berufspolitiker machen, der sich dann voll und ganz dem Amt widmen könnte – und dann auch über die entsprechende Macht und einen Apparat verfügt. Mein Bezirk hat 120.000 Einwohner. Außerhalb Kölns wäre ich also hauptamtlicher Oberbürgermeister einer mittelgroßen Stadt. Mindestens genauso wichtig ist aber auch ein Umdenken in der Gesellschaft: Es fehlt der Respekt. Dabei gibt es nicht Politik und Bürger, beides sind Bestandteile einer Gesellschaft. Es darf kein Gegeneinander sein, sondern ein Zusammenarbeiten auf Augenhöhe mit gegenseitigem Verständnis. Dann klappt es künftig auch besser.