„Schlaflos“-Blog bei FAZ.NET (20.11.2018)
Von Martin Benninghoff
Für Kinder gibt es ganze Produktpaletten von Firmen wie Bosch, Braun oder Miele. Damit die Kinder schon im Windelalter an Marken emotional gebunden werden. Ein toller Service oder nur ein Verkauf der Kindheit?
Irgendwann als Kleinkind bekam ich meine erste Persil-Packung geschenkt.
Ja, nicht die echte, aber eine täuschend echte, nur viel kleiner. Sie war aus Pappe, mit dem berühmten Logo in Rot und dem Grün, noch ohne Megaperls oder Color Gel. Mann, das waren noch die Achtziger! Die Sowjetunion war böse und das Waschmittel, nun ja, halt Waschmittel. Waschmittel für meinen Spielzeug-Kaufmannsladen.
Natürlich hatte ich eine Nivea-Dose, einen Penaten-Tiegel glaube ich auch. Irgendwas Suppenmäßiges von Knorr, Mais oder Bohnen von Bonduelle, Götterspeise von Dr. Oetker, Kaffeesahne von Bärenmarke, Kekse von Leibnitz und Schokoladiges von Ferrero. Alle Angaben ohne Gewähr, ich war vielleicht vier oder fünf und konnte Aronal noch nicht von Elmex unterscheiden. Morgens Elmex, abends Aronal. Oder umgekehrt?
Das frühkindliche Marketing hat ja schon damals bestens funktioniert. Nicht, dass ich heute nur Persil kaufe oder Nivea. Aber diese Marken stecken irgendwo tief im Bewusstsein drin, und es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn das nichts mit meinem Kaufmannsladen zu tun hat. Frühkindliche Gehirnwäsche sozusagen. Denn ansonsten kann ich zu Persil wenig Positives oder Negatives sagen. Keine Argumente. Produkttests dazu habe ich mir nie angesehen. Warum muss ich immer an Erasco denken, wenn ich eine Dose Erbsensuppe sehe?
Laubbläser für das Kleinkind
Meine Kindheit war diesbezüglich noch sehr harmlos. Als ich mir neulich den Produktkatalog der Kinderspielzeugfirma Klein anschaute – was man so macht, wenn der eigene Sohn Geburtstag hat -, bin ich im neuen Jahrtausend des Produktmanagements angekommen. Und war leicht bis mittelschwer schockiert. Die ersten beiden Seiten waren mit grünen Mini-Rasenmähern, Schubkarren, Spaten, Gießkannen und Laubbläsern in Grün bestückt – die fast komplette Ausstattung der Firma Bosch, nur in Miniatur-Format für die Kleinsten.
Die Seite danach: Bagger und Zementmischer von Volvo. Ein paar Seiten weiter die Grillausstattung von, natürlich, Weber. Mit Zangenzubehör und Plastik-Burger. Als ich denke, perfider geht es nicht, kommt wieder Bosch um die Ecke. Dieses Mal mit Kettensägen, Werkbänken und Akkuschraubern. Auf den nächsten Seiten ist die Welt wieder in Ordnung, denn es kommen Firmen wie Mattel mit ihrer „Barbie“-Kollektion, also eine waschechte Spielzeugfirma. Bevor dann Braun zuschlägt mit Haartrocknern, Kaffeemaschinen und einem Toaster. Wobei, das ist alles nichts gegen die kompletten Kinderküchenzeilen, die Miele auf den folgenden Seiten feilbietet. Ceranfeld inbegriffen.
Kann das so schlimm sein? Dann haben die lieben Kleinen eben was Feines zum Spielen. Aber ganz so harmlos ist diese unternehmerische Gehirnwäsche im Kindesalter dann doch nicht.
Markenhersteller versuchen, ihre Kunden emotional ans Unternehmen zu binden. Und wann geht das besser als im Kindesalter? Wir alle kennen die Fernsehserien, ja auch Marken, die zuhause über den Bildschirm flackerten oder im Regal standen – und die wir deshalb ein Leben lang nicht vergessen. Sie sind Teil unserer nostalgischen Empfindungen, und wir setzen womöglich sogar Vertrauen in sie. So entsteht Markenloyalität. Insofern kann man den Unternehmen nur raten: Ran an die Wiege. Oder?
Nivea macht das immer schon ganz klug. Zwar ist das Markenportfolio längst nach Altersklassen aufgefächert, es gibt Cremes für 30-Jährige und auch für die reifere Haut, wie es so schön unschön heißt. Im Zentrum steht aber noch immer die blaue Dose, die wir alle seit Kindertagen kennen.
Es geht nicht nur um spätere Kaufentscheidungen. Kinder beeinflussen die Kaufwahl ihrer Eltern, nörgeln im Supermarkt und wissen genau, was sie geschenkt bekommen wollen. Später lösen sie sich vom Elternhaus, schlagen sich selbst eine Schneise durchs Dickicht im Konsumdschungel. Gleichaltrige geben Trends vor, natürlich spielen Werbung im Fernsehen oder Influencer-„Empfehlungen“ auf Youtube eine große Rolle.
So weit, so schön. Aber ist es moralisch vertretbar, Kinder schon im Alter von zwei bis drei Jahren als spätere Kunden einzufangen?Entwicklungspsychologisch ist das ein günstiger Moment. Die Kleinen haben zwar kein eigenes Geld in der Tasche und kaufen nichts selbst, aber sie prägen sich die Packungen ein, die Logos und die Farben. Allerdings: Die Entwicklungspsychologie kann für Marketing an der Wiege keine Rechtfertigung sein, frei nach dem Motto: Was funktioniert, kann ja nicht verkehrt sein.
Eingriff über die Konsumlaune der Eltern
In diesem Alter ist ein Kind wirtschaftlich und auch sonst in keiner Weise selbständig. Der Markt greift ein Stück weit in die Erziehung ein, nicht direkt, aber über die Konsumlaune der Eltern. Wogegen nichts zu sagen wäre, wenn das Ziel ein pädagogisches wäre. Aber das ist natürlich nicht der Fall, im Gegenteil: Wer seine Kinder zu Selbstständigkeit erziehen möchte, auch als künftiger Konsument, lässt es ausprobieren und selbst bauen, sich vielleicht nur aus ein paar Töpfen von Mama und Papa eine „Küche“ zusammenbauen. Seine Kinder in perfekte Markenwelten eintauchen zu lassen, hat hingegen keinen entwicklungspsychologischen Mehrwert.
Zumal die Fantasie auf der Strecke bleibt. Neulich waren wir bei einem Freund, der eines dieser fertigen und batteriebetriebenen Kinderautos im Keller stehen hatte (ein Geschenk), in das man sich setzen kann. Sah toll aus, ein Sportwagen. Ich habe mich mal hineingesetzt, nur so, um zu schauen, ob es unter mir zusammenbricht. Das war nicht der Fall, ansonsten aber pure Ernüchterung. Ein paar Knöpfe sind zu bedienen, das Ding fabriziert Motorengeräusche – aber ansonsten war nicht viel zu tun. Langweilig.
Ich erinnerte mich daran, dass ich früher als kleines Kind ein paar lange Holzlöffel aus der Küche zu Schaltknüppeln umfunktioniert hatte. Ein Sessel diente als Karosserie, fertig war der Lkw, mit dem ich im Gedanken über Alpenpässe gebrettert bin. Ähnliche Erfahrungen habe ich mit zwei Seilbahnen gemacht. Die eine war selbstgebaut – ein Stück Seil, eine Seilwinde und ein Duplo-Stein oder ein Pendant für die Kabine -, die andere fertig gekauft. Die Kinderseilbahn von Rigi sah zwar toll aus, wurde aber schnell langweilig. Weil es nichts daran zu bauen gab, als sie installiert war.
Nein, früher war nicht alles besser, ganz im Gegenteil. Aber an dem Punkt ist weniger einfach mehr. Wobei: Zum Geburtstag hat unser Sohn einen Wischmob bekommen. Von Vileda. Nur so, aus hochpädagogischen Gründen: Damit die Wohnung bald einen weiteren Putzer bekommt. Das möge man uns verzeihen.