Analyse erschienen bei FAZ.NET (02.01.2019)
Von Martin Benninghoff
An Worten hat Nordkoreas Diktator Kim Jong-un nicht gespart in seiner traditionellen Neujahrsansprache. Wichtiger als das „Was“ war in diesem Jahr allerdings das „Wie“ – er brach mit fast allen Regeln, die das Format sonst charakterisieren.
Dafür, dass Kim Jong-un vor lauter Selbstbewusstsein nicht mehr laufen kann, läuft er schnell und entschlossen voran. Es ist 0 Uhr, Jahreswechsel, und das nordkoreanische Staatsfernsehen überträgt den langgezogenen Gong, der die wichtigste Rede des Jahres ankündigt. Für das gewollte Pathos ist gesorgt, als die Kamera die Zuschauer mit ins Innerste des Machtapparates nimmt, in einen mit rotem Teppich ausgelegten Flur, an dessen linker Seite zwei Fahnen der Staatspartei PdAK stehen – und auf der rechten Seite Kims Büroleiter Kim Chang-son.
Der ist nicht irgendwer, sondern ein hoher Militär, schon seit Jahrzehnten im engeren Machtzirkel – und er war schon mit wichtigen Aufgaben befasst, als Kim Jong-un noch nicht einmal von seinen Eltern angedacht war. Das aber spielt in der faktischen Erbmonarchie des sozialistischen Regimes keine Rolle: Öffentlichkeitswirksam verbeugt sich der Polit-Veteran vor dem immer noch jungen Diktator, der mit viel Elan aus einem Seitengang einbiegt, seinen Adlatus kaum eines Blick würdigt, und dann zielstrebig und dennoch lässig weitergeht.
Was für ein Auftritt für Kim Jong-un, der sein Land mittlerweile seit acht Jahren führt – und mit dieser Rede einmal mehr zeigt, welche erstaunliche Entwicklung er durchgemacht hat.
Es lohnt sich, diesen Auftritt genauer anzuschauen. Bei seiner traditionellen Neujahrsansprache, die als Seismograph für die politische Stimmung in Pjöngjang gilt, bricht der nordkoreanische Diktator mit fast allen Regeln, die dieses Format bislang hervorgebracht hat. Das fängt schon damit an, dass ihm unmittelbar seine Schwester Kim Yo-jong folgt, die zwar häufig in seiner Entourage auftaucht, aber nie so locker und gut gelaunt wie dieses Mal. In der stets symbolträchtigen Inszenierung des Regimes ist das kein Zufall, die Schwester ist seine Vertrauensperson und würde wohl als Nachfolgerin bereitstehen – Kims Kinder sind dafür noch zu klein.
Mal lachend, mal in Denkerpose
Aber soweit ist es noch nicht, denn der Diktator hat es sich auf dem Chefsessel nach Jahren der Machtkonsolidierung gemütlich gemacht, man kann sagen: Er füllt ihn buchstäblich aus wie noch nie. Der Raum, fast eher ein Saal, in dem die Kameras für die Aufzeichnung stehen, wirkt wie das Arbeits- und Kaminzimmer eines westlichen Präsidenten. Vorbei mit der sozialistischen Tristesse, den kühlen Tribünen und nackten Wänden. Der Raum könnte locker als luxuriöser Rauchersalon durchgehen, allerdings eher mit dicken Zigarren denn dünnen nordkoreanischen Zigaretten.
Kim setzt sich in einen Ledersessel, hinter ihm die Porträts seiner beiden Vorgänger. Sowohl Staatsgründer Kim Il-sung als auch dessen Sohn Kim Jong-il sind am Schreibtisch in Arbeitspose abgebildet, kleinere Porträts auf dem Sims zeigen sie aber auch lachend. Es sind die beiden Seiten, die das Regime in der Propaganda stets zu kombinieren versucht: die Disziplin und den redlichen Arbeitseifer, andererseits das freundliche Gesicht, das ihnen Sympathien bringen soll.
Natürlich gibt es mehrere Kameraeinstellungen, besonders häufig wird der Machthaber vor dem Porträt Kim Il-sungs gezeigt. Auch das ist kein Zufall: Der Staatsgründer war wesentlich beliebter als Kims Vater, Kim Jong-il, jovialer, volksnäher und charismatischer, lockerer – und mindestens genauso machthungrig, autoritär und skrupellos. Kim Jong-un eifert eher dem Großvater nach, der zugleich die Quelle für alle Legitimität im Lande ist. Deswegen muss Kim die Nähe zum Großvater herstellen. Ohne ihn ist er nur der vergleichsweise weit entfernt verwandte Emporkömmling, der sich im Machtkampf durchgesetzt hat. Mit ihm ist er der natürliche Nachfolger auf dem Thron, faktisch unangreifbar.
Vor allem muss er aber liefern, um seinen Machtanspruch immer und immer wieder zu rechtfertigen. In seiner Rede erneuert er sein Versprechen, den Wohlstand für seine darbende Bevölkerung zu verbessern. Dafür muss er jedoch dringend zumindest einen Teil der Sanktionen loswerden, mit denen die Vereinten Nationen sowie unter anderem die Europäische Union versuchen, Druck auf das Regime auszuüben. Die Neujahrsrede ist deshalb wie stets an das eigene Volk gerichtet, aber in diesem Jahr besonders deutlich auch an den Westen, allen voran die Vereinigten Staaten.
Kein verkrampftes Starren mehr
Kim präsentiert sich als Staatsmann auf Augenhöhe mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump Er trägt einen westlichen Anzug mit weißem Hemd und heller Krawatte, auch wenn das Modell mit seinem Schlag etwas aus der Mode gefallen scheint. Jedenfalls hat er seinen koreanischen Mao-Anzug im Schrank gelassen. Hinter ihm sind Hunderte Bücher zu sehen, deren Titel man leider nicht erkennen kann. Offenbar sind darunter viele Serienbände, es könnten die gesammelten Werke seiner Vorgänger sein. Alleine Kim Jong-il hat Dutzende Bücher unter seinem Namen veröffentlichen lassen – darunter Titel über Film und Kino. Es würde zum Personenkult passen.
Der Diktator hält zwar einen Notizzettel in der Hand, liest aber wohl vom Teleprompter ab. Dadurch ist es ihm möglich, den Blickkontakt mit den Zuschauern herzustellen, obwohl es immer so aussieht, als schaue der Vortragende leicht an einem vorbei. Aber kein Vergleich mehr zu dem unsicheren und schüchtern wirkenden Amtsanfänger, der an einem Rednerpult mit lauter Mikrofonen stand und die ganze Zeit verkrampft aufs Blatt starrte. Die Botschaft ist klar: Hier hat der Diktator aufgeschlossen zu seinen beiden Vorgängern, und er bietet Trump die Stirn – denn das kann man am besten auf Augenhöhe. Der amerikanische Präsident reagierte bislang eher moderat, offenbar will er sich seinen Singapurer „Erfolg“ nicht kaputtmachen lassen.
In der zweiten Hälfte seiner Rede wendet sich Kim besonders häufig an die Weltöffentlichkeit und an Trump. Äußerlich unbewegt präzisiert er, was die Spatzen schon länger von den Dächern pfeifen: Dass sein Regime nicht interessiert ist an einer einseitigen Denuklearisierung. Seine Drohung, die allerdings in diesem Jahr ohne militärische Aggression auskommt: „Falls die USA ihre vor der ganzen Welt gemachten Versprechen nicht erfüllen, unsere Geduld falsch einschätzen und an Sanktionen und Druckmitteln festhalten, um Dinge einseitig zu erzwingen, werden wir wahrscheinlich keine andere Wahl haben, als einen neuen Weg auszuloten.“ So spricht jemand, der sich in starker Verhandlungsposition wähnt.
Es ist das Selbstbewusstsein eines Mannes, der im vergangenen Jahr machtstrategisch vieles richtig gemacht hat – und alles daran setzt, aus seinem Paria-Staat einen gewöhnlichen globalen Akteur zu machen. Allerdings wurde es ihm leicht gemacht, als Trump sich mit ihm in Singapur persönlich traf und somit eine Bühne präsentierte, die noch kein nordkoreanischer Machthaber vor ihm auf dem Silbertablett gereicht bekommen hatte.
Sein Vater, Kim Jong-il, zeigte sich zwar auch gerne auf Gipfeltreffen der Öffentlichkeit. Aus seiner Stimme allerdings machte er mehr oder minder ein Staatsgeheimnis – und so kredenzte er seine „Neujahrsansprachen“ ausschließlich als Leitartikel in einer Regierungszeitung. Er hatte es aber auch nicht geschafft, einen amtierenden amerikanischen Präsidenten an den Verhandlungstisch zu komplimentieren.
Aber nicht alles läuft glatt fürs Kim-Regime, und das fiel dem deutschen Korea-Forscher Rüdiger Frank auf. „Die Neujahrsansprache dauerte 31 Minuten“, schrieb er bei Twitter. „Aber jemand hatte hinter Kim eine Uhr aufgestellt. Sie zeigte 12:03 an, als die Rede begann, und 12:55, als sie endete. Das macht 21 fehlende Minuten.“ Da Twitter in Nordkorea verboten ist, wird das im Land keine größeren Kreise ziehen – Kim kann sich in seinem Ledersessel also entspannt zurücklehnen