Ein Anstoß von Martin Benninghoff (28.02.2011, Kölner Stadt-Anzeiger)
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat bei seiner Rede am Sonntagabend in Düsseldorf dort weiter gemacht, wo er vor drei Jahren in Köln aufgehört hat.
Sein unverhohlener Nationalismus ist dieses Mal zwar im Ton etwas moderater geraten, in der Sache aber rückt er keinen Deut ab von seinem Kurs der langen Leine, an der er die sogenannten „Auslandstürken“ führen will. „Wer Ihnen auch irgendetwas sagt, Sie sind meine Staatsbürger“, rief er in den ISS Dome, wo sich rund 11 000 Anhänger versammelt hatten. Es ist kein Geheimnis, dass bei der Organisation dieser Veranstaltung auch Ex-Funktionäre der „Milli-Görüs“-Bewegung mitgeholfen haben. Deren nationalistisch-islamistischer Ton schwingt in jedem Worte Erdogans mit.
Zunächst zeichnete Erdogan in seiner Rede ein Bild von der Mühsal der früheren Gastarbeiter, die in den Jahrzehnten seit dem Anwerbeabkommen „unter schlimmsten Umständen“ in Deutschland gearbeitet hätten. Es stimmt: Der Beitrag von Migranten am wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands wird zu wenig gelobt, Autoren wie Thilo Sarrazin sprechen ihnen ihre Beiträge zum Wohlstand mehr oder minder ab, was grundlegend falsch ist. Deswegen verspüren gerade ältere Türken Bitterkeit bei diesem Thema – und sind für Erdogans lindernde Medizin dankbar. Aber zu unterschlagen, dass die „schlimmsten Umstände“ tausendfach besser waren als die damaligen Arbeitsverhältnisse in der Türkei, ist Aufwiegelei und Augenwischerei.
Für Erdogan war das nur die Vorspeise, um sein Hauptgericht schmackhaft zu machen: „Wir sind stolz auf Sie, wir sind für Sie da“, rief er. Danach zählte er eine Reihe angeblicher innenpolitischer Fortschritte auf, für die er und seine Regierung gesorgt hätten: für neue Straßen und Bahnstrecken in der Türkei. Und – ganz besonders wichtig – für Kampfhubschrauber, die demnächst in Serie gingen. Kein Wort von den Errungenschaften, die interessant für Menschen in Deutschland sind. Wer von den hier lebenden Menschen interessiert sich schon für eine Unterführung in der Peripherie Istanbuls, wenn die Straßen hier durch den Winter ramponiert sind? Erdogan spricht an der Lebenswirklichkeit der Deutschen und Migranten in Deutschland vorbei.
Man kann Erdogan nicht vorwerfen, dass er gerade auf Wahlkampftour für die Parlamentswahlen im Juni ist. Und man kann ihm auch nicht vorwerfen, für den wirtschaftlichen Aufschwung der Türkei die Werbetrommel zu rühren. Aber Kanzlerin Angela Merkel sollte ihm heute Abend ruhig ins Gesicht sagen, wenn die beiden sich auf der Computermesse Cebit begegnen, dass die türkischstämmigen Menschen hier in Deutschland langfristig gesehen nicht mehr „seine Staatsbürger“ sein werden. Im Übrigen sehen das auch viele jüngere Türkischstämmige so. Und die hören allenfalls gerne Erdogans Aufruf, eine gute Schulbildung zu erwerben. Aber eben nicht, um den Ruhm der Republik Türkei zu mehren! Sondern um ein gutes und erfülltes Leben in Deutschland zu führen.