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Vor zehn Jahren griffen Terroristen die USA an (erschienen im „Kölner Stadt-Anzeiger“ am 10./11.09.2011).
Von Michael Hesse und Martin Benninghoff
Als El Kaida die westlichen Symbole von Fortschritt und Stärke in New York und Washington angriff, und die Welt die Twin Towers in sich zusammenfallen sah, schien die These Samuel P. Huntingtons vom „Kampf der Kulturen“ auf unheilvolle Weise Gestalt anzunehmen.
Der Islam stand von nun an, so glaubten viele, in einem Kampf gegen den Westen. Der „Clash of Civilizations“, von dem der Aufsatz des mittlerweile verstorbenen Politikwissenschaftlers von 1993 handelt, wurde zum Kennzeichen einer neuen historischen Epoche. Mit Huntingtons Buch „Kampf der Kulturen“ schien zudem die griffige Zauberformel zur Beschreibung der Konflikte in der Welt nach dem Kalten Krieg gefunden zu sein.
Die westliche Sicht war die, dass der Islam die Wurzel der Radikalisierung sei. In Bin Laden personifizierte sich der Vorreiter der muslimischen Welt. „Faktisch werden junge Menschen aber nicht deshalb zu Terroristen, weil sie den Koran lesen oder in die Moschee gehen. Sie tun es um der Wirkung willen“, sagt der französische Politologe Olivier Roy.
Durch den „War on Terror“ gegen Afghanistan und den Irak sowie den Dauerkonflikt mit dem Iran verfestigte sich zunächst eine Schwarz-Weiß-Sicht, die den Islam und den Westen als jeweils eigene Blöcke betrachtete. Sahen einige im Islam eine Ausgeburt der Intoleranz, betonten andere wiederum seine tolerante Seite. Sahen einige im Westen den bösen, moralisch verkommenen Wohlstandsriesen, betonten andere wiederum Menschenrechte und Demokratie.
Gleichwohl sind solche Generalisierungen falsch, was die Gesellschaften sowohl der islamisch geprägten Länder als auch des Westens, nicht zuletzt Deutschland, lernen müssen. Nur ein Bruchteil der 3,8 bis 4,3 Millionen Muslime hierzulande sind Fundamentalisten. Und davon längst nicht alle politische Radikale. Einerseits gibt es die ultrareligiösen Muslime der Salafistenbewegung, die selbst mit ihrer Kleidung einem imaginierten Bild des Propheten Mohammed nacheifern. Andererseits machen Studien deutlich, dass rund 90 Prozent der Muslime absolut unauffällige Ansichten zu Demokratie und Freiheit haben.
Zuletzt hat das Buch des Ex-Bundesbankers Thilo Sarrazin die Polarisierung in Muslime und Nicht-Muslime verschärft, die der Komplexität kaum gerecht wird: schon gar nicht den Gruppen mit liberalen Ansichten über Menschlichkeit und menschliche Freiheit.
Schon Huntington wurde in seiner Aufteilung der Welt ein logischer Fehler nachgewiesen. Es war schwer einzusehen, warum wir jemanden primär als Mitglied einer „Zivilisation“ ansehen sollen, die sich ausschließlich durch Religion definiert. So lautet die Kritik von Nobelpreisträger Amartya Sen. Der Ökonom und Philosoph der Harvard University erkennt hierin eine unzulässige Reduktion eines Menschen auf eine Dimension – in diesem Fall auf ihre Religionszugehörigkeit. Dabei gibt es so viele andere Zugehörigkeiten, wie Sprache, Literatur, Nationalität, Beruf, Erziehung, politische Bindungen und sozialer Status.
Jedenfalls erschwert die Blockbildung notwendige Reformen einiger islamischer Strömungen. Der Gelehrte Sadik al-Azm aus Damaskus verweist darauf, dass es in den islamisch geprägten Ländern derzeit nur wenig Raum für eine kritische Haltung der eigenen Religion gegenüber gibt. Und die fundamentalistischen und konservativen Deutungen unter den theologischen Gelehrten nehmen überdies zu. Al-Azms Hoffnung: ein Euro-Islam unter den in Europa lebenden muslimischen Intellektuellen und der Reformkräfte in der Türkei, etwa der Ankara-Schule, könnte auch die arabische Reformtheologie beflügeln.
Deutschland und Frankreich haben hier ob der Größe ihrer muslimischen Bevölkerungsteile eine Schlüsselrolle. Wichtigstes Instrument in Deutschland ist derzeit die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an Schulen. Konflikte sind allerdings bereits jetzt zu erkennen: Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin und Gründerin des Liberal Islamischen Bundes (LIB), befürchtet wie andere auch eine Dominanz der Konservativen, die den Islam als feststehendes Regelwerk mit Verboten sehen statt die Schüler zu zeitgemäßer Interpretation zu befähigen. Eine Entwicklung, die die Bundesregierung mit der von Wolfgang Schäuble initiierten Islamkonferenz tendenziell gestärkt hat.
Völlig überrascht zeigte sich der Westen indes von den Ereignissen in Nordafrika. Anfang dieses Jahres begehrte die Jugend auf, die, im muslimischen Glauben aufgewachsen, die scheinbar exklusiven westlichen Werte für sich reklamierte. Die Menschen in Kairo, Tunis und Bengasi protestierten für Demokratie, für freie, gleiche und geheime Wahlen, für einen Rechtsstaat und eine unabhängige Gerichtsbarkeit.
Das zeigt: Der Kontrast besteht eher zwischen modernen demokratischen Standpunkten und rückwärtsgewandten vormodernen Ideologien in der christlichen, muslimischen, jüdischen und hinduistischen Welt. Anzunehmen, dass die einzelnen Kulturen homogen sind, ist ein großer Fehler, sagt noch einmal Amartya Sen. Einen „Kampf der Kulturen“ zu sehen, ist ein noch größerer.
Bezüglich Ihres drittletzten Absatzes möchte ich Sie auf einen heute erschienen Artikel hinweisen, der zeigt, wie oberflächlich die Debatte um die Inhalte des Islamunterrichts derzeit geführt werden. Wer sich ein bisschen mit dem Entstehen und der Verantwortlichkeit des Religionsunterrichts beschäftigt, der wird nur müde lächeln, wenn er hört, der Unterricht sei in Gefahr, in konservativen Regeln zu erstarren. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell Phrasen übernommen werden, ohne die entsprechenden Sachkenntnis. Frau Kaddor spielt anscheinend mit der Unkenntnis der anderen, womit sie große Chancen hat, das Spiel zu gewinnen, denn die Unkenntnis ist groß, sehr groß.
http://www.migazin.de/2011/09/12/eine-religionspadagogische-perspektive-auf-den-islamunterricht/