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Artikel über Cybermobbing gegen Jugendliche
Erschienen im „Kölner Stadt-Anzeiger“ (15.09.2011)
Von Martin Benninghoff
Eigentlich wollte Chantal ja nur dazugehören. So wie ihre Freundinnen und Mitschüler. Doch kurz nachdem die 17-Jährige Leverkusenerin ein Profil beim sozialen Netzwerk SchülerVZ eingerichtet hatte, tauchte plötzlich ein zweites mit ihrem Namen auf, ohne ihr Wissen und Zutun. Ihr Foto war dort zu einer hässlichen Hitler-Fratze verunstaltet. Zudem musste das Mädchen Dinge über sich lesen, die kein Mensch, schon gar kein Teenager gerne über sich liest: „Schlampe“ und „Hure“ waren noch die mildesten Ausdrücke.
Für Chantal war dies der Beginn eines tagelangen Alptraumes aus Verleumdung und Hetze. Die anonymen Autoren veröffentlichten einen unflätigen Kommentar nach dem anderen, Kommentare wurden wiederum kommentiert, ein Schneeballeffekt. Nach einigen Stunden drohte einer der vermeintlichen „Streberin“ sogar Prügel an. „Ich bin nicht mehr vor die Tür gegangen“, erzählt Chantal. Längst war ihr der Auftritt bei SchülerVZ – einem Netzwerk mit rund 5,8 Millionen Mitgliedern, das sich seit 2007 speziell an Schüler richtet – entglitten. Längst war ihr harmloser Ausflug ins Internet zu einer persönlichen Katastrophe für ihren realen Alltag geworden.
Die „Zeit“-Journalisten Thomas Fischermann und Götz Hamann schreiben in ihrem neuen Buch „Zeitbombe Internet“ (Gütersloher Verlagshaus“) gegen das falsche Sicherheitsgefühl vieler Internetnutzer an, von denen Jugendliche allerdings die schützenswertesten sind. Ihrer These nach steuert das Internet auf eine schwere Krise zu, weil es überfordert und überfrachtet sei: Hacker könnten Stromnetze abschalten, Krankenhäuser lahmlegen oder Unternehmen mit Drohungen erpressen, schreiben die Autoren. Sie plädieren fürs „Entnetzen“, also dafür, bestimmte Infrastrukturen schlichtweg vom Netz wieder abzukoppeln.
Zudem seien die Nutzer überfordert, weil sie in der „imaginierten Privatsphäre“ ihre persönlichen Daten ohne Not ins Netz stellten – und damit wie Chantal schnell zum Mobbingopfer werden können. Laut einer aktuellen Studie im Auftrag der Techniker Krankenkasse waren 36 Prozent der befragten Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 20 bereits einmal Opfer von Cybermobbing. 60 Prozent der Opfer kennen dabei übrigens die Täter, die meist aus dem direkten Umfeld stammen: Mitschüler oder Nachbarn. Ganze 21 Prozent der Befragten können sich vorstellen, selbst einmal zu mobben.
Meist bleiben die Mobbing-Fälle unentdeckt. Chantals Fall hatte jedoch ein juristisches Nachspiel. Die Kölner Rechtsanwälting Nina Haberkamm forderte die Verantwortlichen von SchülerVZ auf, gefälschte Profile oder Mobbing-Einträge über Chantal künftig sofort zu löschen. Da die Anwältin zudem für öffentlichen Druck gesorgte hatte – die ARD drehte einen TV-Bericht, der in der vergangenen Woche ausgestrahlt wurde – beugte sich der Betreiber und unterschrieb die Erklärung.
Chantal kann damit aufatmen. Generell ändert sich jedoch nichts an der Anfälligkeit sozialer Netzwerke für Mobbingattacken. Denn laut Gesetz sind die Betreiber nur verpflichtet, „unverzüglich“ zu prüfen und Rechtsverletzungen zu entfernen, wenn ein Hinweis auf Mobbing auftaucht. Das können auch schon mal drei Tage sein. Haberkamm fordert daher eine konkrete Frist im Gesetz: „Es wäre sinnvoll, einen Zeitraum von 24 Stunden festzulegen, in dem der Betreiber reagieren muss“.
Im TV-Beitrag ist von 50 000 Beiträgen die Rede, die bei SchülerVZ jährlich einlaufen. Über 70 Mitarbeiter sorgen tagsüber für deren Bearbeitung. „Doch nachts, wenn das Internet heißt läuft, ist sowieso niemand da“, kommentieren die Autoren des TV-Beitrags. Eine Sprecherin der VZ-Netzwerke, zu denen auch die Portale meinVZ und StudiVZ gehören, bezeichnet „die Anzahl unserer gut ausgebildeten Mitarbeiter als angemessen“. „Angemessen“ und „unverzüglich“ – ob diese weichen Begriffe für den Schutz von Minderjährigen ausreichen, bezweifelt nicht nur Nina Haberkamm.