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Reportage im „Kölner Stadt-Anzeiger“ über Marokko, dessen Tourismus in Zeiten der Unruhen in den Nachbarstaaten mitleidet. (12. Oktober 2011)
Von Martin Benninghoff
Als die Tunesier, Ägypter und Libyer Anfang des Jahres auf die Straßen gingen, um ihre verschwendungssüchtigen Potentaten aus den Palästen zu fegen, und sich auch in Saudi-Arabien die ersten Unzufriedenen regten, fuhr der saudische König Abdullah in Urlaub. Nach einer Bandscheibenoperation in New York benötigte der schwerreiche Herrscher ein wenig Ruhe, und da kam ihm der Arabische Frühling in Tunis, Kairo und Tripolis und auch der eigenen Hauptstadt Riad mehr als ungelegen. Also ging er nach Marokko. Dort waren Könige noch willkommen, denn die wenigen Proteste in Casablanca und Rabat richteten sich nicht direkt gegen den marokkanischen Herrscher Mohammed VI.
Abdullah zog sich mit einem großen Tross an Sicherheitsleuten und Dienern zur Reha an die marokkanische Atlantikküste zurück, in ein Luxushotel nahe der schönen, portugiesisch geprägten Festungsstadt El Jadida, ein Unesco-Weltkulturerbe. Er bezog eine 342 Quadratmeter große „Royalsuite“ im „Mazagan“ für rund 8500 Euro die Nacht, ließ gleich noch ein paar Wände einreißen, damit die an sich großzügige Kemenate etwas geräumiger wurde. Von dort genoss er den Panoramablick über den pieksauberen Strand, der täglich von einigen der 1500 Hotelbediensteten mit Harke und Greifer von Strandgut befreit wird. Ein Stück grünes Urlaubsparadies mit einem 18-Loch-Golfplatz, dessen kurzer Rasen wie mit der Nagelschere geschnitten scheint, dahinter ein großzügiger Wellness-Palast inmitten der ansonsten weitgehend naturbelassenen Dünenlandschaft.
„Zu Gesicht haben wir den König aber nie bekommen“, sagt Rita Tazi beim Rundgang durch den riesenhaften Hotelkomplex. Sie ist im „Mazagan“ für die Kommunikation mit ausländischen Journalisten zuständig, spricht fließend Arabisch, Französisch, Englisch und Spanisch. Wenn Sie nicht spricht, schaut sie auf ihr Smartphone, liest Mails und tippt SMS, ganz Prototyp einer marokkanischen Businessfrau, die sich aller technischen Möglichkeiten bedient, in Sachen Familie jedoch die Tochter einer konservativen Familie in einem konservativen islamischen Land bleibt. Zwar hat sie ein Zimmer im Hotel, lebt aber weiter die meiste Zeit bei ihren Eltern in Casablanca. Ihr Vater habe ihr verboten, sich eine eigene Wohnung zu nehmen, sagt Rita. „Das gehört sich eben nicht. Bis ich einmal heirate.“ Und wann ist es soweit? „Ach, hören Sie ja auf“, lacht sie, „ich stemme mich so gut ich kann dagegen.“
Ritas Job ist es, ausländischen Journalisten das Tourismusland Marokko im Allgemeinen und das Hotel „Mazagan“ im Besonderen schmackhaft zu machen. Denn während der saudische König in Marokko Urlaub machte, begannen die weltweit ausgestrahlten Bilder und Berichte von Toten und Verletzten zwischen Damaskus und Tunis den Tourismus in Marokko in Mitleidenschaft zu ziehen – obgleich es in Marokko ruhig blieb.
Immerhin erwirtschaftet der Tourismus zehn Prozent der Deviseneinnahmen. „Im Sommer 2011 haben wir jedoch Rückgänge im zweistelligen Prozentbereich zu verzeichnen“, sagt Alexa Hüner, Pressesprecherin beim Reiseunternehmen TUI. Stattdessen reisten die Touristen in die Türkei oder auf die Kanarischen Inseln. Auch das staatliche marokkanische Tourismusbüro stellt einen Rückgang der Übernachtungen im Juli dieses Jahres um mehr als 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr fest, auch bei den Deutschen. Die kommen mit knapp 950 000 Übernachtungen im Jahr 2010 ohnehin seltener nach Marokko als die historisch mit dem Land verbundenen Franzosen. „Leider unterscheiden die Touristen nicht zwischen den Staaten im arabischen Raum“, sagt Hatim El-Gharbi vom marokkanischen Tourismusverband. Außerdem: „Wenn im Libanon eine Bombe hochgeht, leidet Marokkos Reisewirtschaft gleich mit“, sagt er. „Und das, obwohl der Libanon näher an Deutschland als an Marokko liegt.“
Allerdings ging in diesem Jahr in Marokko selbst eine Bombe hoch. 18 Menschen, darunter etliche Ausländer, starben im April, als islamistische Attentäter ein Touristencafé am „Djemaa el Fna“, dem zentralen Platz in Marrakesch, sprengten. Ein symbolträchtiges Ziel, denn das quicklebendige Viertel um den Platz und die angrenzenden Märkte (Soukhs) sind das Herz des heißen und verschwitzten Marrakesch. Mit seinen Gauklern, Feuerschluckern, Schlangenbeschwörern, Geschichtenerzählern. Mit seinen Musikern in weißen Djellabas und roten Filzhüten, die ekstatisch auf straff gespannte Ziegenhaut schlagen und ihren Schellen und Tamburinen ein heißblütiges Dröhnen entlocken. Tausend und eine Nacht für den Wochenendtrip aus den europäischen Metropolen.
Kein Wunder, dass Marrakesch, aber auch Casablanca, Tanger und Essaouira westliche Künstler inspirierten und dies bis heute tun: Alfred Hitchcocks Film „Der Mann, der zu viel wusste“ spielt in Marrakesch, Satzstücke aus „Casablanca“ mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman sind schon längst sprichwörtlich geworden, und der Literatur-Nobelpreisträger Elias Canetti nannte seine Liebeserklärung an die Fremde „Die Stimmen von Marrakesch“. Doch das orientalische Stadtparadies Marrakesch hat mit dem Bombenanschlag seine Unschuld verloren – und damit auch etliche Touristen, bestätigt TUI-Sprecherin Hüner.
Dabei war Marokko als Tourismusziel auf gutem Wege, wenn man von den schwächeren Jahren 2008 und 2009 absieht, die im Schatten der aufkommenden Finanzkrise standen. Das selbstgesteckte Ziel der Regierung, 2010 zehn Millionen Touristen ins Land zu locken, „Vision 2010“ genannt, verfehlte Marokko nur hauchdünn. Der Anteil deutschen Reisenden war kontinuierlich gestiegen, wenn auch vergleichsweise noch auf geringem Niveau. Für den Reiseveranstalter Thomas Cook bringt das Marokko-Geschäft weniger als ein Prozent am Gesamtumsatz, sagt Sprecher Mathias Brandes. Zum Vergleich: Ägypten und Tunesien liegen bei fünf bis sechs Prozent.
König Mohammed VI. und die Regierung hatten dafür schon vor zehn Jahren ein umfassendes Investitions- und Reformpaket aufgelegt, das „Plan Azur“ genannt wurde – ein verheißungsvoller Begriff, der bis heute in keiner Diskussion über Marokkos Zukunft fehlen darf. Unter anderem sieht der Plan mit einem Investitionsvolumen von 1,4 Milliarden Euro den Bau mehrerer großer und exklusiver Ferienanlagen vor, von denen die meisten nun, zehn Jahre nach Beschluss, fertiggestellt sind. Das „Mazagan“ ist eines davon. Nur die Anlage in Port Lixus an der nördlichen Atlantikküste lässt noch wegen Finanzierungsschwierigkeiten auf sich warten. Damit sollen finanzstarke Touristen ins Land gelockt werden, die schnell vom Flughafen ins Hotelzimmer gelangen wollen. Selbstredend wurden deshalb Schnellstraßen und Autobahnen durch Gebiete gebaut, die vorher allenfalls durch Eselverkehr aufgefallen waren. Marokko hat heute zumindest an der Küste hervorragend ausgebaute Straßen.
Die gut 90 Kilometer weite Fahrt vom Flughafen Casablanca zum „Mazagan“ dauert nur noch eine dreiviertel Stunde. Man rauscht über die Autobahn vorbei an ärmlichen Bauernkaten, deren Dächer zum Teil noch aus Plastikplanen bestehen. Der Boden ist trocken und ausgedörrt, auf ihm finden meist nur Ziegen und Schafe genügend Futter. Wie überall in Marokko stehen hier und dort Rohbauten, die aussehen als seien sie aufgegeben worden. Hinter den beiden Kontrollposten des „Mazagan“ tut sich dann eine grüne Oase auf. Palmen, Wiesen und farbenfrohe Blumen. Frühmorgens springen die Rasensprenger an, damit das Grün nicht zum Braun der Umgebung wird. Das Wasser werde wiederaufbereitet, sagt Rita Tazi. Um das Hotel herum verläuft ein Wassergraben als Reservoir für das Bewässern der Anlage. Rita macht darauf aufmerksam, dass „3630 Bäume gepflanzt“ worden seien – als Ausgleich für die Rodung für das Hotelgelände.
Das neue marokkanische Öko-Bewusstsein ist schlichtweg aus der Not geboren. In Marrakesch muss inzwischen 45 Meter tief gebohrt werden, um auf Grundwasser zu stoßen. Noch vor zwölf Jahren reichten zwölf Meter. Natürlich ist „Nachhaltigkeit“ aber auch hier ein Begriff für die Imagepflege. Das Personal des „Mazagan“ rekrutiere sich aus der einheimischen Bevölkerung, erzählt Rita. Sie bleibt stehen, ihre Stimme bekommt einen verschwörerischen Unterton: „Die anzulernen war nicht einfach“, sagt sie und rollt mit den Augen. „Es fehlte an allem: an Ausbildung, manche sind sogar Analphabeten.“ Jedenfalls hätten sie gemeinsam geübt, geübt, geübt – und die Mitarbeiter verhielten sich dafür umso herzlicher zu den Gästen. Tatsächlich wirken manche Kellner noch unsicher, sie machen das jedoch durch gesteigerte Freundlichkeit mehr als wett.
„Ein weiteres Problem für Marokkos Tourismus ist ein Mangel an direkten Flugverbindungen“, sagt Stephan Killinger, der Direktor des „Mazagan“. Der Deutsche hat über 25 Jahre in verschiedenen Luxus-Resorts, wie dem ebenfalls zur Kerzner-Gruppe gehörenden „One&Only Reethi Rah“ auf den Malediven, gearbeitet und will das „Mazagan“ nun als „führende touristische Destination etablieren“. Er sitzt im „Morjana Restaurant“, wo sich die Tische vor lauter marokkanischer Spezialitäten wie Taijines und Couscous biegen. Auf einer kleinen Bühne spielt eine Gruppe einheimische Volksmusik, dazu schwingt eine Bauchtänzerin die Hüften. Air Berlin streicht zum Winterflugplan eine Reihe von direkten Verbindungen von Köln/Bonn nach Nador, Tanger und – schlecht für Killingers Hotel – auch nach Casablanca. Allerdings überlegt Germanwings derzeit, die Strecken zu übernehmen. TUI muss ihre Kunden gelegentlich über Zürich und Luxemburg einfliegen, da Direktverbindungen fehlen.
Ob die reichen Touristen, auf die Killinger baut, mit Germanwings oder anderen Billigfliegern reisen? Er baut schließlich auf Kunden, denen selbst „die Businessklasse bei Condor nicht reicht“. Das „Mazagan“ mit seinem angeblich größten Casino Nordafrikas – mit 50 Spieltischen und 441 Automaten – buhlt eher um die Kunden von Resorts wie in Dubai und Abu Dhabi. Klar, dass der hoteleigene Nachtclub im Prospekt mit jenen des Dubaier Mega-Hotels „Atlantis, The Palm“ verglichen wird. Wer will da schon mit der „Royal Air Maroc“ fliegen, deren Service, nun ja, verbesserungswürdig ist?
Eigentlich sind Casinos und Glückspiel in einem muslimischen Land als Lasterhölle verpönt. Eine Gratwanderung, die der König von Marokko umgeht, indem er sich im „Mazagan“ bisher noch nicht hat blicken lassen. „Er ist unser religiöser Führer“, sagt Rita Tazi augenzwinkernd. „Deshalb kommt er nicht zu Besuch.“ Abdullah, den König von Saudi-Arabien, der sich der „Hüter der heiligen Stätten von Mekka und Medina“ nennt, schien das nicht zu stören. Er blieb gleich einen ganzen Monat im „Mazagan“. Trotz Casino. Aber sein Volk ist ja auch weit weg.