Der neue Kim an der Spitze Nordkoreas muss zunächst seine Macht festigen, indem er die Strategie seines Vaters fortsetzt. Ein mittelfristiger Ausweg aus der Isolation könnte das chinesische Modell sein
Ein Kommentar von Martin Benninghoff (erschienen bei KSTA.de)
Zugegeben: Die weinenden Menschen bei der Trauerzeremonie um den gestorbenen Diktator Kim Jong Il wirken für westliche Augen äußerst skurril, die Propaganda lächerlich, das politische und wirtschaftliche System wie aus einer längst vergangenen Zeit. Die Inszenierung lässt einen ungläubig zurück: Ja, wo gibt es denn so etwas noch? Und wer fällt darauf rein? Am ehesten noch lassen sich die Bilder aus Pjöngjang mit jenen schiitischer Muslime vergleichen, die sich einmal im Jahr auf offener Straße selbst geißeln, auf dass das Blut nur so fließt. Zurück bleiben westliche Beobachter, die die Bilder nicht fassen können, aber wenig über die Zustände vor Ort erfahren. Besonders schwer wiegt das im Falle Nordkoreas, wo sich in den letzten Tagen eben nicht nur ein religiöses Ritual abspielte, sondern bitterer Ernst für die knapp 24 Millionen Menschen, die seit Jahrzehnten praktisch von der Außenwelt abgeschnitten sind.
Leider gibt es bislang keinerlei Hinweis, dass sich mit dem neuen Führer irgendetwas für die Nordkoreaner verbessern wird. Kim Jong Un wurde nun offiziell zum „obersten Führer“ ernannt, die Partei und das Militär haben sich offiziell zu ihm als Führer bekannt. Dabei wird Kim Jong Un vorerst nur die Galionsfigur eines Küchenkabinetts, in dem sein Onkel Jang Song Thaek, ein Vertrauter des gestorbenen Diktators Kim Jong Il, das Sagen haben wird.
Inwieweit und wie schnell Kim Jong Un sich aus der Umklammerung herausarbeiten wird und in Zukunft als uneingeschränkter Herrscher fungieren wird? Das kann zum jetzigen Zeitpunkt keiner seriös beantworten. Halbwegs sicher ist nur, dass er zunächst seine Macht festigen muss, indem er die Ping-Pong-Strategie seines Vaters fortsetzt, und die sieht so aus: Er droht den USA, Südkorea und Japan – und damit der gesamten „westlichen“ Staatengemeinschaft nebst der Verbündeten – mit der Atombombe. Damit zwingt er die Mächte an den Verhandlungstisch, wo er im Gegenzug dafür, dass er seine Drohung zurücknimmt, Lebensmittel- und Brennstofflieferungen erpresst. Als Beweis der Entschlusskraft feuert er eine Mittelstreckenrakete in Richtung Japan oder Südkorea.
Durch diese Strategie – zusammen mit dem Buhlen um Investitionen aus China und Russland – wird er versuchen, den Weg der Selbstisolation weiterzugehen. Tiefgreifende Wirtschaftsreformen sind vorerst nicht zu erwarten.
Für die Nordkoreaner ist das eine äußerst schlechte Nachricht. Umso mehr sollte Deutschland als führende Wirtschaftsnation in Europa seinen Einfluss nutzen, um Druck auf Kim Jong Uns wichtigste Steigbügelhalter China und Russland auszuüben. Leider sieht „Druck“ bislang so aus: Deutschland eröffnet Menschenrechtsdialoge, und nichts ändert sich am Status Quo. China und Russland verfolgen derweil knallhart ihre nationalen Interessen weiter, indem sie das Regime stützen. Beide Länder, die an Nordkorea grenzen, setzen alles daran, von einem nordkoreanischen Flüchtlingsproblem verschont zu bleiben. Außerdem fürchten sie den Zusammenbruch des Landes, weil dann die in Südkorea stationierten US-Soldaten an ihren Grenzen stünden. China und Russland lassen deshalb alles so, wie es ist, und forcieren nur den Handel mit Nordkorea.
Statt also nur das Reizwort „Menschenrechte“ in Peking und Moskau gebetsmühlenartig zu wiederholen, sollte Deutschland beiden Ländern klarmachen, dass ein Wandel in Nordkorea in ihrem Interesse liegt. Denn so wie Nordkorea derzeit wirtschaftet – es lebt von der eigenen Substanz, die Infrastruktur ist größtenteils zerstört, Rohstoffe fehlen -, wird es nicht in alle Ewigkeiten weitergehen. Wenn auch nicht heute oder morgen: Nordkorea wird eines Tages einen Umbruch erleben, der dann eher einer Explosion als einem Wandel gleicht. Und dann kommt es knüppeldick für Russland und China.
Ein allmählicher Wandel Nordkoreas liegt daher im Interesse der beiden Länder. Und das Modell dafür ist China. Wenn man bedenkt, dass Chinas Vergangenheit unter Mao ähnlich aussah wie heute Nordkorea, ist die Entwicklung des Landes seit Deng Xiaoping atemberaubend. Verglichen mit damals hat das Land eine funktionierende Zivilgesellschaft, von einem viel besseren Lebensstandard ganz zu schweigen. Klar, China ist noch immer autokratisch regiert. Aber wäre Nordkorea heute so wie China, würde man sich weniger Sorgen machen müssen.