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Als ihre Herzen stehen blieben

Erschienen in der FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG (FAS) und FAZ.NET (13.11.2016)

Von Martin Benninghoff, Katrin Hummel, Estelle Marandon und Jennifer Wiebking

Heute vor einem Jahr griffen islamistische Attentäter Paris an. Sie töteten 130 Menschen. Opfer, Hinterbliebene und Bewohner der Stadt erzählen von der Nacht und dem Leben danach.

Christiane Junker ist mit einer Freundin im „Le Baromètre“, einem Bistro auf dem Boulevard Voltaire nur 50 Meter vom Konzertsaal „Bataclan“ entfernt, als sie plötzlich Schüsse hört. „Wir guckten uns an und fanden das beide komisch, aber dann sagte ich: ‚Bestimmt ein Feuerwerk‘“, erinnert sie sich. Im nächsten Moment rennen Leute über die Straße, Gäste werfen sich auf die Knie oder kriechen unter Tische. Junker robbt hinter die Theke, ihre Freundin sperrt sich in eine Besenkammer ein. Weitere Schüsse fallen. „Ich habe versucht, zu verstehen, was gerade passiert, und ich konnte im Fernseher, der in dem Bistro hing, sehen, dass auch an anderen Orten Schüsse fallen“, erzählt die Fernsehjournalistin. Rund dreißig Minuten harren sie so aus, dabei linst sie immer wieder über die Theke und sieht schließlich „so was wie das deutsche SEK eintreffen, mit schweren Maschinenpistolen, aber ohne Helme. Ich dachte an eine Kneipenschießerei, Hells Angels oder so“, erinnert sich Junker. Sie ist beruhigt, weil sie denkt: Wenn die Polizei da ist, wird sich das alles schon klären. Das Ausmaß dessen, was gerade geschieht, begreift sie in diesem Moment nicht.

Es ist die Nacht vom 13. November vergangenen Jahres, als in Paris 130 Menschen ums Leben kommen, weil islamistische Terroristen zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate Anschläge in der Stadt verüben. Ausgerechnet in Paris, der Stadt der Liebe, die nun droht, zu einem geradezu lebensfeindlichen Ort zu werden. Bloß weg hier, so denken sich einige Bewohner schon in diesen erschreckenden ersten Stunden, ab nach Marseille oder Bordeaux, wo es für das gleiche oder gar weniger Geld ein Haus mit Garten gibt und Sonne, die einem ins Gesicht strahlt.

In den Tagen nach den Anschlägen werden in manchen Kindergärten Ausflüge zum Spielplatz verboten, Sankt-Martins-Umzüge abgesagt. Schwer bewaffnete Militärs werden auf einmal an jeder Ecke stehen. „Meine damals drei Jahre alte Tochter fing an, von bösen Menschen zu sprechen. Es war bedrückend“, wird eine Pariser Mutter von zwei kleinen Kindern berichten. Das Gefühl, dass da ein Lebensgefühl endet, in dieser Terrornacht kommt es hoch, es erfasst alle, die in der Hauptstadt leben.

Julius Tang hat erst wenige Wochen zuvor sein Masterstudium in Paris begonnen, als er und ein paar befreundete Kommilitonen auf die Idee kommen, sich das Freundschaftsspiel Deutschland gegen Frankreich im Stade de France anzuschauen. „Die Tickets waren nicht teuer, 30, 40 Euro, also haben wir eine Woche vorher gesagt: Okay, das machen wir“, erzählt der deutsche BWL-Student. Vor dem Stadion lassen sie noch ein Foto von sich machen, um 21.03 Uhr ist Anpfiff. Ihre Plätze sind weit oben, aber auch dort ist der erste Knall 14 Minuten später deutlich zu hören.

„Keiner von uns hat das in diesem Moment verstanden, dieser Riesenknall kam von der gegenüberliegenden Seite“, sagt Tang. „Zunächst dachten wir an übermotivierte Fans, die ein Zeichen setzen wollten, aber andererseits haben die französischen Fans, die deutlich in der Überzahl waren, überhaupt nicht reagiert. Sie haben jedenfalls nicht gejubelt.“

Tatsächlich hatte einer der Attentäter versucht, kurz nach Spielbeginn noch ins Stadion zu kommen. Als der Sicherheitsdienst die Sprengstoffweste entdeckt, flüchtet der Attentäter und zündet die Bombe außerhalb des Stadions. Ein Passant kommt mit ihm ums Leben. Es ist der erste Knall von etlichen an diesem Abend. Bis zur zweiten Explosion sterben im Stadtzentrum 15 Menschen infolge der Schießerei.

Der Backstage-Bereich diente als Schutzraum

Julia und Thomas Schmitz sind um diese Zeit im Bataclan, wo die Attentäter in den nächsten Stunden knapp 90 Menschen erschießen werden. Es ist Thomas’ Geburtstag, das Konzert der amerikanischen Rockband „Eagles of Death Metal“ steht auf dem Programm, und ihr Platz ist auf der Galerie mit Blick auf die Bühne. Mitten im Gitarrensolo bricht plötzlich ein Schüsse-Stakkato von ungeheurer Wucht los. Gestank wie von Feuerwerk breitet sich aus, als Julia begreift: Das kann nicht Teil der Show sein. Sie reißt Thomas am Arm, sie laufen los, atemlos mitgerissen vom Strom der anderen Konzertbesucher, durch ein Treppenhaus sprinten sie in Richtung Ausgang. Plötzlich fallen auch dort Schüsse, der Fluchtweg scheint verbaut, sie laufen die Treppenstufen hoch, wieder zurück aufs Zwischengeschoss, wo sie sich schließlich in einen Raum retten.

Im Stade de France wird indessen nach der Explosion normal weitergespielt. „Irgendwann kamen die ersten Nachrichten von Freunden, so haben wir überhaupt erst von der Explosion am Stadion mitbekommen“, sagt Julius Tang. Auf dem Rasen gewinnt Frankreich 2:0, das Spiel wird auch nach der dritten Detonation um kurz vor 22 Uhr in einem Mc Donald’s am Stadion nicht vorzeitig abgepfiffen. „Ich war erst ziemlich entsetzt, dass da nichts kommuniziert wurde, aber aus der Sicht des Krisenmanagements war das natürlich genau richtig, sonst wäre sicher Panik entstanden“, sagt Tang.

Nach dem Abpfiff werden die Zuschauer geordnet durch einen einzigen Ausgang geleitet. „Zu diesem Zeitpunkt haben wir richtig Angst bekommen und uns gemeinsam dazu entschlossen, so lange wie möglich im Stadion zu bleiben.“ Mit seinen Freunden klettert Tang die Ränge bis ganz nach oben, „von dort konnte man ein richtiges Herdenverhalten beobachten“. Weil ein Ordner plötzlich allzu hektisch reagiert, rennen die Leute in Todesangst über den Rasen. „Wir dachten in diesem Moment, dass die Attentäter jetzt ins Stadion kommen.“

Der Ort im Bataclan, an den sich Julia und Thomas Schmitz retten können, stellt sich als Backstage-Raum der Band heraus. Das Paar verschanzt sich dort mit anderen Menschen, Thomas knallt die schwere Tür zu und wuchtet einen Kühlschrank und ein Sofa davor. Sie hocken sich auf den Boden. Die Luft wird stickig, zum Schneiden, zudem nagt die Ungewissheit, was draußen vor sich geht, an ihnen. Sie hören Schreie und Schüsse und irgendwann die Attentäter vor der Tür, die offenbar versuchen, in den Raum zu gelangen. Es ist der Moment, als Thomas und Julia mit ihrem Leben abschließen: „Wir haben wirklich gedacht, wir sterben jetzt. Hoffentlich geht es schnell und tut nicht weh.“

„Eine Mischung aus Hoffnung und Hoffnungslosigkeit“

Zu diesem Zeitpunkt empfängt Antoine Leiris zu Hause in seiner Pariser Wohnung eine erste SMS: „Hallo, alles gut? Seid ihr zu Hause?“ Er antwortet nicht, aber als weitere besorgte SMS folgen („Seid ihr in Sicherheit?“) schaltet er, der noch gar nichts von alldem mitbekommen hat, den Fernseher ein. Und sieht das Schriftband, das unter den Bildern vom Attentat im Stade de France herläuft: „Attentat im Bataclan“. Leiris’ Herz bleibt stehen. Er denkt: Das muss ein Irrtum sein. Ein elektrischer Schlag scheint durch seinen Körper zu fahren. Im Bataclan, da ist seine Frau Hélène. Er selbst ist zu Hause geblieben, um auf ihren gemeinsamen Sohn, den einjährigen Melvil, aufzupassen.

Er wählt Hélènes Nummer – Klingeln, Mailbox. Er legt auf. Ruft wieder an. Einmal, zweimal, hundertmal. Seine Familie kommt zu ihm, gemeinsam mit seinem Bruder setzt er sich ins Auto und fährt die Krankenhäuser ab. „Ich habe agiert mit einer Mischung aus Hoffnungslosigkeit und Hoffnung“, erinnert er sich heute. „Ich dachte die ganze Zeit: Vielleicht ist sie tot, und gleichzeitig dachte ich: Vielleicht hat sie ja überlebt. Und weil beide Gefühle gleichzeitig da waren, fühlte ich mich wie im Auge eines Zyklons, und es gab kein Entkommen.“

Während Leiris durch die Nacht fährt, harren Julia und Thomas Schmitz hinter der verbarrikadierten Tür aus. Sie hält. Nach zweieinhalb oder drei Stunden – das Zeitgefühl funktioniert nicht mehr richtig – kommen endlich die Einsatzkräfte und holen sie raus.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße beobachtet Christiane Junker nun aus dem ersten Stock die Lage. Die Polizei war kurz vorher in das Bistro gekommen und hatte die Gäste aufgefordert, in Privatwohnungen eine Etage höher zu warten. „Wir mussten uns im Dunkeln auf den Boden legen“, sagt sie. Aus dem Fenster sieht Junker, die ab und zu hinauslugt, Verletzte, die abtransportiert werden. Die Polizei führt die Bistrogäste schließlich in den Hinterhof des Gebäudes und von dort durch einen Seitenausgang auf die Straße.

„Wir sahen viele Menschen, die mit erhobenen Händen aus dem Bataclan rauskamen, die Polizei hielt sie mit Waffen in Schach, weil sie gucken mussten, ob sich unter ihnen nicht noch Terroristen befanden“, erzählt Junker, „und wir sahen auch viel Blut, Schwerverletzte auf Tragen und Tote, und wir mussten an allen vorbeilaufen. Ich habe meiner Freundin die Augen zugehalten, damit sie das nicht sehen muss.“ Sie selbst sei aufgrund ihres Berufs schon einiges gewöhnt, aber auch sie könne diese Bilder bis heute nicht vergessen.

Irgendwann wird auch das Stade de France geräumt, also müssen Julius Tang und seine Freunde über den gesicherten Fluchtweg raus. „Es gab nur diese eine Fluchtstraße zurück nach Paris. Aber in meine nahe gelegene Wohnung konnten wir nicht, unsere Freunde hielten uns auf dem Laufenden und sagten, dass dort noch geschossen werde.“ Nach einer Dreiviertelstunde zu Fuß finden sie ein Taxi, der Zug ist ihnen in diesem Moment zu unsicher.

„Wir sind dann zu der kleinen Schwester von einem Kumpel von mir, sie wohnte in einer WG in Saint-Germain, südlich der Seine. Die Schießerei war ja nördlich.“ Zu diesem Zeitpunkt ist es zwei Uhr nachts, die Gruppe lädt dort die Handys auf, unterhält sich mit den Mitbewohnern und versucht so zu verarbeiten, was gerade passiert ist. „Irgendwann haben wir uns dann Vélibs, Leihfarräder, genommen und sind nach Hause gefahren.“

„Keine Ausrede, nicht zur Uni zu kommen“

Antoine Leiris indes findet noch keine Ruhe. Fast 24 Stunden muss er warten, um zu erfahren, was mit Hélène ist. Währenddessen kümmert er sich um seinen Sohn Melvil, er füttert ihn, er liest ihm vor, er beruhigt ihn, wenn er seine Mama vermisst. Am Abend des 14. November gegen 20 Uhr schließlich, Melvil schläft schon, ruft Hélènes Schwester ihn an: „Antoine, es tut mir so leid…“. Leiris sagt: „In diesem Moment wusste ich, dass es keinen Ausweg mehr gab.“ Und gleichzeitig ahnte er, dass ihm das Schlimmste noch bevorstand: Er musste Melvil sagen, dass seine Mama nie mehr zurückkommen würde.

Am nächsten Tag startet er die Playlist, die Hélène für Melvil zusammengestellt hat, und dann drückt er ihn an sich, hält ihn zwischen seinen Beinen eingeklemmt, „damit er mich spürt, damit er mich versteht“. Dann öffnet er ein Foto von Hélène, Melvil zeigt ängstlich darauf, Tränen stehen ihm in den Augen, weil er seine Mama schon jetzt so vermisst. Und Leiris erklärt ihm, dass seine Mama „nicht wiederkommen kann, dass sie einen schweren Unfall hatte, dass es nicht seine Schuld ist, dass sie viel lieber bei ihm wäre, dass sie es aber nicht mehr kann“.

Julius Tang entscheidet sich unterdessen, nach Deutschland zu seinen Eltern zu fahren. „Ich weiß nicht, ob es richtig war. Meine Uni hat am Sonntag eine Mail herumgeschickt, dass man drei Tage lang fehlen dürfe, aber dass die Anwesenheit ab Donnerstag wieder vorausgesetzt werde. Für mich war aber klar, dass ich die ganze Woche über fehlen würde. Ich musste ziemlich lange diskutieren, ich schrieb meinem Programmleiter, dass ich im Stadion war und das sehr schlimm fand, und er entgegnete, er habe auch Verwandte im Bataclan verloren, und für ihn sei das keine Ausrede, nicht zur Uni zu kommen. Es zeigt auch, wie anders die Franzosen damit umgehen.“

Die mürrischen Pariser werden sanft und zugänglich

Während in Paris vom Ausgehen als erster Bürgerpflicht die Rede ist, schielen die Deutschen halb verängstigt, halb bewundernd rüber zu ihren französischen Nachbarn. Denn in den Tagen nach dem Anschlag geschieht dort etwas Merkwürdiges. Die sonst eher mürrischen Pariser werden auf einmal sanft und zugänglich. Die Menschen rücken zusammen. Sie unterhalten sich plötzlich mit Wildfremden, erkundigen sich gegenseitig nach dem Befinden. Schließlich ist jeder irgendwie betroffen.

Jeder kennt irgendwen, der in dieser Nacht an einem dieser verhängnisvollen Orte war. Und Antoine Leiris postet auf Facebook jenen Post, der innerhalb kurzer Zeit um die ganze Welt gehen wird: „Meinen Hass bekommt ihr nicht.“ Darin wendet er sich an die Terroristen, die seine Frau getötet haben, und schreibt ihnen, dass Melvil und er auch weiterhin glücklich und frei sein werden und sie somit ihr Ziel, Hass zu säen, verfehlt haben. Eine Botschaft der Liebe in Zeiten des schlimmsten Terrors, die kurz darauf auch in sein gleichnamiges Buch Eingang finden wird, in dem er über die Nacht der Attentate und die Zeit danach schreibt.

Thomas Schmitz, der in der Nacht vom 13. November im Bataclan war, sitzt in den Wochen darauf viel zu Hause in Köln. Als Logistiker, der mit Gefahrgütern hantiert, ist er krankgeschrieben, er darf nicht arbeiten. Auch Julia Schmitz tritt kürzer, sie klagt über Konzentrationsschwierigkeiten. Stundenlang recherchiert sie im Internet, will alles über die mutmaßlichen Attentäter wissen. Thomas ist nicht desinteressiert, aber er zieht sich mehr in sich zurück.

Ein Jahr später, im Oktober 2016, stehen sie zum ersten Mal wieder in dem Raum, in dem sie die schlimmste Nacht ihres Lebens verbringen mussten. „Life for Paris“, ein Verein für die verletzten Opfer und die Angehörigen der Toten, hat Julia und Thomas zu einer Begehung des Bataclan eingeladen. Es ist zwar nicht ihre erste Rückkehr nach Paris seit dem tragischen Abend, wohl aber die erste Rückkehr in die Konzerthalle, in der sie fast gestorben wären. Noch andere Überlebende sind gekommen, den Fluchtweg aber inspizieren sie zu zweit mit einer Betreuerin, gleichen ihn mit der Erinnerung ab: die Wände, die Treppenstufen. Fassungslos steht Thomas vor dem Backstage-Raum, die schwere Brandschutztür wurde gegen eine leichtere Tür aus Holz ausgetauscht: „Wäre die damals schon da gewesen statt der schweren Tür, wären wir heute tot“, sagt er.

Die Erlebnisse in den Köpfen lassen sich nicht einfach überpinseln

Im Bataclan sind mittlerweile alle Spuren der Schreckensnacht getilgt: Die teils blutverschmierte Bestuhlung ist rausgerissen, die Böden sind erneuert, die Einschusslöcher an den Wänden gespachtelt und überstrichen. Am Freitagabend singt Sting zur Wiedereröffnung. Auch die Restaurants am Canal Saint-Martin sind renoviert worden und heute fast besser besucht als vor dem 13. November. In den Köpfen der Überlebenden aber lassen sich die Erlebnisse nicht einfach überpinseln, auch wenn selbst jemand wie Antoine Leiris versucht, seinem Leben wieder einen normalen Anstrich zu geben: „Es geht uns gut“, sagt er über sich und Melvil und bemüht sich, seine Trauer zu verbergen.

„Wir machen weiter wie zuvor, mit dem Unterschied, dass sie nicht mehr da ist.“ Er ist in Kontakt mit anderen Hinterbliebenen und Opfern, weil er an einer Fernsehdokumentation mitgewirkt hat. „Ich weiß gar nicht mehr, warum ich das ursprünglich gemacht habe, aber daraus haben sich Freundschaften entwickelt“, erzählt er. „Da ist eine Brüderlichkeit zwischen uns, weil wir alle die gleichen Erfahrungen gemacht haben. Wir reden inzwischen über viele Dinge, nicht nur über die Attentate.“

Denn natürlich ist das Leben für niemanden in der Stadt so, wie es war – auch nicht für die Menschen, die keine Angehörigen verloren haben. Auch viele Pariser fahren ungern mit der Metro, selbst ein Jahr später noch. „Wenn ich es doch einmal tun muss, lasse ich meine Mitfahrenden nicht aus den Augen und schäme mich, dass ich dabei einen bestimmten Typus unter Generalverdacht stelle“, erzählt die Pariser Mutter. „Meine Kinder bringe ich grundsätzlich mit dem Fahrrad zum Kindergarten.“ Dass dieser von der Straße direkt einsehbar ist, bereite ihr nach wie vor ein ungutes Gefühl. Ebenso wie die Vorstellung, die Kinder irgendwann zur Schule zu schicken, „wo niemand ihre Sicherheit garantieren kann.

Spätestens da werden sie dann wohl mit diesem Plakat konfrontiert, das ich neulich in der Post neben dem Schalter hängen sah: Was tun im Falle eines Terroranschlags?“ Ein Aushang mit Bildern, ähnlich wie die Sicherheitshinweise im Flugzeug. Unterteilt in drei Kategorien: 1. Fliehen, 2. Verstecken, 3. Warnen. Sich mit Möbeln verbarrikadieren, auf die Straße flüchten, Passanten warnen, die Hände über den Kopf strecken. „Ich frage mich, ob das wohl bald zur gängigen Schulroutine gehören wird, wie die Übung für den Feueralarm.“ Der Gedanke daran schockt sie noch nicht einmal, und diese Veränderung an sich selbst wundert sie eigentlich am meisten.

Auch Christiane Junker ist nicht mehr dieselbe. „Ich bin nicht mehr so unschuldig. Damals habe ich mich gewundert, dass alle Franzosen nach den Schüssen direkt auf die Knie gefallen sind und niemand so neugierig wie meine Freundin und ich aus dem Fenster geguckt hat. Aber heute würde ich das genauso machen – ich würde auch sofort auf die Knie fallen.“

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