Kolumne „MyGration“ beim „Opinion Club“ (erschienen am 8.1.2014)
Von Martin Benninghoff
Nahezu unbemerkt ist das deutsch-koreanische Anwerbeabkommen im Dezember 50 Jahre alt geworden. Dabei hätte das Jubiläum mehr Aufmerksamkeit verdient, weil es viel über den richtigen Blick auf Integration verrät.
Als sich vor zwei Jahren das deutsch-türkische Anwerbeabkommen zum 50. Mal jährte, berichteten die Medien in Deutschland mit teils ganzseitigen Themenseiten. Kein Wunder, möchte man meinen, schließlich war das Land gerade mit Ach und Krach aus der Sarrazin-Debatte herausgekommen, die Einwanderung vor allem als Problemfall betrachtete. Manch einer wollte es dann doch nicht so stehenlassen und auf die wichtige Rolle der türkischen Einwanderer beim Aufbau der deutschen Nachkriegswirtschaft hinweisen.
Die türkischstämmigen Gastarbeiter und ihre Nachfahren haben diesem Land unzweifelhaft ihre Stempel aufgedrückt – und viel an Aufbauarbeit geleistet. Es gibt aber auch eine Reihe von Einwanderern aus ganz anderen Regionen dieser Welt, über die kaum gesprochen wird, über die man aber sprechen sollte. Und die selbst ignoriert werden, wenn sich „runde Geburtstage“ ereignen. Die Koreaner zum Beispiel. Wer hat schon mitbekommen, dass das deutsch-südkoreanische Anwerbeabkommen im Dezember 2013 50 Jahre alt geworden ist? Und dass einige Tausend Koreaner diesem Land ebenso ihren Stempel mitgegeben haben, der sicherlich eines näheren Blickes würdig ist.
Auf der Suche nach Gastarbeitern für den Kohlebergbau und Krankenhäuser schloss die Bundesrepublik Deutschland 1963 einen Anwerbevertrag mit der südkoreanischen Militärdiktatur von Park Chung-hee ab, der innerhalb von zehn Jahren rund 20.000 Arbeitsmigranten aus dem ebenfalls geteilten Land nach Deutschland lockte. Damals war das übrigens hochumstritten, weil man die Koreaner für durchaus schwer zu integrieren hielt: wegen der fremden Sprache, der andersartigen Esskulturen und sonstiger kultureller Gepflogenheiten, die dem Deutschen eher unbekannt vorkamen. Für weitaus besser integrierbar hielt man die Anrainer der Mittelmeerstaaten, weshalb Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien und der Türkei abgeschlossen wurden.
Geräuschlose Integration
Heute wissen wir, dass die Integration koreanischer Gastarbeiter nahezu geräuschlos ablief. Natürlich wegen der geringeren Zahl. Aber das alleine wäre kaum ein hinreichender Grund. Vielmehr sticht ein anderes Kriterium ins Auge, das uns auch heute – zur Jahreswende – zu denken geben sollte.
Und dieses Kriterium heißt Bildungsstand. In der Tat, 60 Prozent der eingewanderten Koreaner waren damals schon höher gebildet, hatten eine Fachausbildung, Abitur oder gar ein Studium. Viele waren arbeitslose Akademiker, die im deutschen Steinkohlebergbau das Geld verdienten, mit dem sie später in Südkorea ein eigenes Geschäft öffnen wollten. Wie so oft, wurde daraus nichts, weil sie blieben, Familien gründeten und in Deutschland ihre neue Heimat fanden. Dieser Integrationserfolg ist bis heute sichtbar: Nach Schätzungen haben aktuell mehr als 70 Prozent der Koreastämmigen in Deutschland Abitur oder einen noch höheren Bildungsabschluss.
Die Geschichte der koreanischen Einwanderer bietet zwei Schlussfolgerungen, die eine Integrationsdebatte zum Jahreswechsel 2013/2014 weiterbringen können.
Erstens, was als fremd oder weniger fremd wahrgenommen wird, ist nun mal alles andere als eine physikalische Gesetzmäßigkeit. Genauer: Was Dir heute fremd ist, mag morgen schon vertraut sein, und andersherum. Meist wird man danach natürlich immer schon alles gewusst haben. Da meinen die einen, Integration von Muslimen funktioniere sowieso nicht, weil der Islam und Demokratie unvereinbar seien. Und die anderen glauben, Korea und Deutschland könnten nie zueinander finden, weil man in dem einen Land Hund isst und in dem anderen damit Gassi geht.
Und zweitens, solche Fehlschlüsse entstehen, weil die Integrationsdebatte zu oft kulturalistisch oder religiös verbrämt geführt wird, aber nur selten ökonomisch. Dabei kann Integration eigentlich nur ökonomisch funktionieren oder eben auch scheitern, je nachdem, ob und wie Einwanderer Eingang in die Arbeitsmärkte finden. Da ja die Gastarbeiter per Definition schon einen Job hatten, war die ökonomische Integration von Anfang an gegeben. Die Akkulturation, also das Hineinwachsen der Nachkommen in die deutsche Gesellschaft, stockte zwischenzeitlich allerdings bei manchen Gruppen und deren Nachfahren – und schuld daran war einzig und allein die Bildungsferne der Eltern.
Das Beispiel Korea lehrt: It’s education, stupid!
Ein wenig klingt das wie eine Binsenweisheit. Dennoch lohnt es sich, diesen Satz nicht als eine solche abzutun. Denn unsere Integrationsdebatten kranken noch immer an dem mangelnden ökonomischen Blick auf Einwanderung. Stattdessen beherrschen vornehmlich weiche Faktoren die Debatte, wie Fremdheit, Aussehen oder Religion. Geradezu grotesk erscheint die angebliche Trennlinie zwischen Muslimen und Christen, die spätestens seit dem 11. September 2001 fein säuberlich gezogen wird. Es spielt keine Rolle, welche Religion jemand hat, fühlt, ausübt oder ignoriert. Sämtliche Studien zur Religiosität und auch zur Einstellung gegenüber Menschenrechten, Demokratie und Geschlechtergleichberechtigung zeigen, dass der Bildungsstand und die soziale Integration darüber entscheiden, ob ein Mensch zu fundamentalistischen Positionen neigt oder nicht.
Bei desintegrierten Menschen entscheidet daher oft der Zufall, ob sie in Neonazi- oder Salafisten-Kreisen landen. Beide – Nazis und Islamisten – haben oft ähnliche Lebensgeschichten hinter sich, ähnliche Einstellungen entwickelt und sind ähnlich anfällig für Ideologien, die feste Regeln und Auswege aus ihrer Aussichtslosigkeit versprechen. Hüben wie drüben führen einige wenige klügere und gebildetere (aber verirrte) Köpfe die Gruppen an, hüben wie drüben läuft das Fußvolk nahezu blind hinterher.
Die Kraft des Geldes
Bildung hat viel mit Ökonomie zu tun. Wer berufsmäßig integriert hat, bietet seinen Kindern eine bessere Ausbildung, sorgt unbewusst und bewusst für ein besseres Bildungsumfeld und gibt die nötige Mentalität mit auf den Weg. Deshalb sollten wir in Zukunft endlich weniger über Religion sprechen, weniger Islamkonferenzen veranstalten und weniger über angebliche kulturelle Andersartigkeiten schwadronieren. Letztlich, und das zeigen die Koreaner in Deutschland, hat Geld (und damit Bildung) die Kraft, kulturelle Andersartigkeiten in einem anderen, oft schwächeren Licht erscheinen zu lassen. Es ist ja auch heute schon so, dass der iranische Chefarzt dem deutschen Anwalt näher ist als dem iranischen Hilfsarbeiter. Gleiches Einkommen macht gleiche Schicht macht gleiche Bildung macht gleiche Ansichten.
Natürlich, es gibt ein historisches Interesse, sich in Deutschland und Europa über Rassismus und Religion zu unterhalten – im Land der Religionskriege, der Reformation und der Shoa kein Wunder. Die Debatte um den Fachkräftemangel hat nun aber endlich einen neuen Aspekt nach Deutschland gebracht, der eigentlich schon zu Zeiten der Anwerbeabkommen eine nachhaltige Rolle hätte spielen sollen: die Ökonomie. Lange Zeit war die Frage, welche Einwanderer Deutschland nutzen und welche nicht, verpönt. Dadurch war die Mischung in Sachen Bildungsstand bei manchen Einwanderergruppen aus dem Lot geraten. Von den erfolgreichen Einwandererländern wie Australien aber wissen wir, dass es sinnvoll ist, wenn der Durchschnitt von Abiturienten bei Einwanderern ähnlich hoch ist wie bei den alteingesessenen Bevölkerungsanteilen – oder besser.
Der neuen Bundesregierung kommt in besonderem Maße in 2014 die Aufgabe zu, weniger über Religion als vielmehr über die Bildung und die Jobchancen von Einwanderern zu sprechen. Akzeptanz von Muslimen zum Beispiel entsteht ja nicht durch immer neue Islamkonferenzen, sondern wenn der Muslim oder die Muslimin von nebenan vor allem als Ingenieur, Anwältin, Handwerker oder Grafikerin wahrgenommen wird – und damit als Gleiche unter Gleichen. Die Religion ist dann nur noch eine Privatsache neben tausend anderen Dingen. So wie das Christsein oder das Kimchiessen der Koreaner. Natürlich darf und muss Einwanderung deshalb nicht ausschließlich, aber doch zu einem großen Anteil nach ökonomischen Prinzipien organisiert werden – das Recht auf politisches Asyl bleibt davon natürlich unangetastet. Dann gelingt Einwanderung so wie bei den Koreanern. Kanada hat mit einem Punktesystem, das über ein bestimmtes Kontingent an Zuwanderung bestimmt, gute Erfahrungen gemacht. Zumal es sich justieren lässt, je nach den Bedürfnissen des Einwanderungslandes Deutschland.