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Sightseeing in der Diktatur

Feature in der „FAZ WOCHE“ (Print, leicht gekürzt erschienen am 30.06.2017)

Reiseagenturen versprechen westlichen Touristen unvergessliche Einblicke in Nordkorea – und Sicherheit. Wenn man sich an die Regeln hält.

Von Martin Benninghoff

Das Beijing City Central Hostel in Peking ist der letzte Stopp in Freiheit. Hier, in einem der oberen Stockwerke, wo es kurz vor dem Aufbruch nach Nordkorea ein letztes Mal Wlan gibt, sitzen ein paar Männer und eine Frau, die meisten zwischen zwanzig und dreißig, auf ihren gepackten Rucksäcken und lauschen Shan. Die junge Chinesin, die perfekt Englisch spricht, ist Reiseleiterin bei Young Pioneer Tours, einer Agentur mit Sitz im chinesischen Xi‘an, die Touren nach Nordkorea anbietet – und den nach langer Haft verstorbenen Amerikaner Otto Warmbier in das abgeschottete Land gebracht hatte.

Shan erklärt noch schnell die Hausordnung Nordkoreas, die Regeln, an die sich alle halten sollen, wenn sie die Grenzformalitäten am Übergang Dandong/Sinuiju hinter sich gebracht haben. Soldaten dürften keinesfalls fotografiert werden, Witze oder Gehässigkeiten über die Diktatorenfamilie seien ebenso tabu wie politische Diskussionen. Fotografieren ginge schon, nicht immer und überall. Die Nordkoreaner seien empfindlich, was die Armut auf dem Land anginge – im Schaufenster Nordkoreas, in Pjöngjang, seien sie dafür umso lockerer. Ein Schwede fragt, ob man das Wasser aus den Leitungen trinken könne (nein, besser nicht!), es wird gefeixt, gelacht, und dann schreiben einige noch eine vorerst letzte Mail oder SMS in die Heimat. Wenig später gehen sie zum gegenüberliegenden Bahnhof, wo der Zug gen Pjöngjang bald abfahren wird.

Am Ende der siebentägigen Reise nach Nordkorea wird der Zusammenhalt der Gruppe so fest sein, als kenne man sich schon seit Jahren, und die gefühlten Unterschiede der Nationalitäten werden vor dem Hintergrund der „richtigen“ Fremde Nordkoreas zur Unkenntlichkeit zusammengeschrumpft sein. Wie es ein australischer Tourist, der drei Mal im Land war, später formulieren wird: „Dort habe ich einzigartige Lebenserfahrungen gemacht, die ich nirgendwo anders machen kann. In Nordkorea ist alles anders als bei mir zuhause.“ Otto Warmbier und sein späteres Schicksal kennen die Reisenden nicht, echte Angst kommt nicht auf. Stattdessen: Euphorie, gepaart mit einem Kribbeln und Anspannung. Eine offenbar attraktive Mischung für vornehmlich westliche Mittelschichtssprosse.

Touren nach Nordkorea sind seit den achtziger Jahren möglich, aber erst seit rund zehn Jahren entwickeln spezialisierte Agenturen wie Young Pioneer Tours den kleinen Markt. Nach Schätzungen verschiedener Anbieter zieht es im Jahr 4000 bis 6000 westliche Touristen ins Land. Das Gros kommt allerdings aus China, mindestens 100.000 Besucher sollen das sein. Für sie bietet Nordkorea Spielkasinos, ein neues Ski-Gebiet in der Nähe der Hafenstadt Wonsan, und seit einiger Zeit Tagestouren über den Grenzfluss Yalu nach Sinuiju. Für alle gilt: Es ist relativ leicht, ein Visum zu bekommen – wenn man kein Journalist ist.

Vermittler und Reisebegleiter

Die akkreditierten Reisebüros, von denen es auch eine Handvoll in Deutschland gibt, fungieren als Vermittler und Reisebegleiter. Sie sind Ansprechpartner für Touristen und können Sonderwünsche für das Besuchsprogramm weitergeben. Zugleich ist klar: Der Tourismus in Nordkorea ist fest in der Hand der staatlichen Behörde KITC, die die Hotelbuchungen und Transfers festlegt, das Programm zusammenstellt und die meist zwei Reiseleiter und Aufpasser pro Gruppe stellt. Nichts wird dem Zufall überlassen und Begegnungen mit Einheimischen allenfalls in homöopathischen Dosen erlaubt. Nordkorea ist nichts für einen Individual-Urlaub.

Dafür sind kuriose Erfahrungen programmiert, zum Beispiel im „Seamen’s Club“ in der verwitterten Industriestadt Chongjin im Nordosten des Landes. Im ersten Stock eines unscheinbaren Betonbaus versteckt sich die Kneipe. Es gibt Bier, auf den Tischen stehen Knabbereien, aus der Karaoke-Anlage plärrt Pop-Musik der nordkoreanischen Girl-Band Moranbong. Noch ist nichts los, ein paar Kellnerinnen stehen wie aufgereiht an der Wand, offenbar haben sie auf die westlichen Gäste gewartet, die es sich mit einem Bier gemütlich machen – und fragend in der Gegend herumschauen. Nach ein paar Minuten treten ein paar Einheimische ein, die sich an die Tische setzen. Den Touristen wird bedeutet, sich dazuzugesellen, die Reiseleiter übersetzen. Plaudern wäre das falsche Wort, aber dann kommt doch noch ein kurzes Gespräch zustande: Ein Nordkoreaner erzählt, er arbeite in der großen Bibliothek der Stadt, die morgen auf dem Besuchsprogramm steht. Nach ein paar Minuten ist schon Schluss, das Essen wartet im Nebenraum, danach wird Karaoke gesungen und mit den Kellnerinnen getanzt.

Ob diese Begegnung mit Einheimischen echt oder inszeniert war, lässt sich nicht überprüfen. Alleine die Möglichkeit, hier Zeuge einer Showveranstaltung für Touristen geworden zu sein, inspiriert die Fantasie der Reisenden – und wird in der Gruppe noch tagelang Gesprächsstoff sein. Nordkorea bietet atemberaubend schöne Landschaften, wie etwa in den Gebirgen Chilbosan und Myohyang, doch für die meisten westlichen Touristen dürften solche „unvergesslichen Einblicke in ein weltweit einzigartiges politisches und gesellschaftliches System“, wie das deutsche Reisebüro Pyongyang Travel in Berlin werbetextet, ausschlaggebend für eine Reise sein. Young Pioneer Tours verspricht gar Orte, „von denen deine Mutter dich fernhalten will“, zum Beispiel die Demilitarisierte Zone, die bestens gesicherte Grenze zwischen Nord- und Südkorea, oder das Mausoleum im Kumsusan-Palast, wo Staatsgründer Kim Il-sung und sein Sohn Kim Jong-il aufgebahrt liegen.

An den Diktatoren kommt kein Tourist vorbei

An den beiden verblichenen Diktatoren kommt kein Tourist vorbei, ihre Konterfeis zieren fast jeden Raum, an jedem Provinzbahnhof hängen ihre Porträts, in jeder Kleinstadt gibt es Denkmäler als steingewordene Ausdrucke eines weltweit wohl in dieser Dimension konkurrenzlosen Personenkultes. Touristen kommen in die Zwickmühle, hier – wie die Einheimischen – mit einer Verbeugung oder zumindest einem Kopfnicken Respekt zu zeigen. Wer will, darf Blumen niederlegen, gezwungen wird keiner. Trotzdem ist das Ritual eine Zumutung für viele, und das wissen die Reiseleiter. Wer den Kims partout nicht zu nahe kommen will, kann deshalb im Bus sitzen bleiben. Hauptsache, ein Eklat in der Öffentlichkeit wird verhindert.

Solche Kompromisse und die kleinen Reiseerleichterungen für Ausländer in den vergangenen Jahren – so darf man mittlerweile sein Handy mitnehmen und muss es nicht mehr an der Grenze abgegeben – erwecken den Eindruck, das Land habe sich liberalisiert. Davon kann aber keine Rede sein, es ist nach wie vor eine totalitär regierte Diktatur, unberechenbar für Touristen, die dem Regime aufgrund ihrer Devisen gelegen kommen. Trotzdem bezeichnete Young Pioneer Tours das Land als „extrem sicher“, erst nach dem Tod des Amerikaners Warmbier, der angeblich ein Propagandaplakat in Pjöngjangs größtem Touristenhotel Yanggakdo gestohlen haben soll, änderte Geschäftsführer Gareth Johnson den Text. Jetzt soll Nordkorea nur für „Menschen aus den meisten Ländern wahrscheinlich einer der sichersten Orte der Welt“ sein, vorausgesetzt sie hielten sich an die Regeln. Amerikaner dürfen nicht mehr mit, das Risiko sei „zu groß gewesen“.

Dass Warmbier seine Staatsbürgerschaft zum Verhängnis wurde, ist wahrscheinlich, aber nicht bewiesen. Amerikaner reisen seit Jahren nach Nordkorea, und bis auf einige Einschränkungen – so dürfen sie nicht mit dem Zug einreisen, sondern müssen das Flugzeug nehmen -, verlaufen ihre Reisen meist unproblematisch. Die New Yorkerin Savanna Washington fuhr 2013 nach Nordkorea, „um die Welt dort etwas besser zu verstehen“. Das hätte wie im Fall Warmbier schiefgehen können, denn die als Touristin eingereiste Dokumentarfilmerin nutzte die Überland-Busfahrten, um das Alltagsleben der Einheimischen aufzunehmen. Damals kassierte sie eine Reihe strenger Ermahnungen mit der Drohung, das Besuchsprogramm für die ganze Gruppe würde zusammengestrichen. Weiter passiert ist nichts.

Die unterschiedlichen Folgen für die beiden Amerikaner Warmbier und Washington zeigen, wie unberechenbar Nordkorea ist. „Ein solches Regime kann jederzeit etwas konstruieren, um sich ein menschliches Faustpfand aus einer Gruppe herauszuholen“, sagt Friedrich Christian Haas, Geschäftsführer der Agentur AKE, die Unternehmen berät, die in Krisengebieten aktiv sind. Das Auswärtige Amt rät Deutschen von „nicht erforderlichen Reisen“ ab – touristische Reisen sind niemals erforderlich. Auch weil die medizinische Versorgung miserabel ist. Der deutsche Nordkorea-Reisende Sebastian, der seinen vollen Namen nicht öffentlich machen will, war zehn Mal im Land: „Wenn Du in Chilbosan einen Berg- oder Autounfall mit Organverletzungen oder Blutverlust hast, dann bist du ziemlich sicher tot“, sagt er. Trotzdem bieten die Reisebüros Marathonläufe, Kanu-Touren und Bergbesteigungen an.

Wer will das System mit seiner Reisekasse stabilisieren?

Zudem stellt sich die Frage, ob man mit seiner Reisekasse das diktatorische System stabilisieren möchte. Die Fakten: Laut Amnesty International sind 2016 mehr als 1400 Personen nach Südkorea geflüchtet, die meisten über die mörderische China-Route, die in jeder Sekunde die Gefahr birgt, geschnappt und zurückgebracht zu werden. Das Regime soll mindestens 50.000 Menschen über staatseigene Betriebe in Länder wie Qatar, Angola oder Russland geschickt haben, um dort für Devisen auf Baustellen oder in Restaurants zu schuften. In den bekannten Straflagern sollen rund 120.000 politische Gefangene inhaftiert sein, etliche davon in Sippenhaft.

Die Amerikanerin Washington hält nichts von einem Reiseverbot nach Nordkorea: „Es ist wichtig, dass die Welt lernt, was in Nordkorea vor sich geht – und es ist genauso wichtig, dass die Nordkoreaner etwas vom Rest der Welt lernen.“ Bleibt die Frage, ob jeder Pauschal-Tourist mit einem solchen idealistischen Motiv ins Land reist – oder ob nicht in anderen Fällen vor allem der „Kick“ zählt. Die Reiseanbieter fragen ohnehin nicht nach Motiven: „Bei uns läuft alles ganz normal“, sagt Malika Ben Naoum-Horst vom Hannoveraner Anbieter Korea-Reisedienst in der Woche nach dem Tod Warmbiers. Ein Amerikaner habe sich angemeldet, er wolle im Juli nach Pjöngjang reisen.

Für den deutschen Touristen Sebastian hat das Reiseziel Nordkorea mit der Tragödie um Warmbier allerdings ein wenig die Unschuld verloren, die es für den erfahrenen Reisenden ohnehin nie hatte. „Ich werde das generell kritischer beobachten“, sagt er, allerdings: „Vielleicht muss ich mich irgendwann korrigieren, aber momentan ist das noch kein Grund. Wer nicht zufällig Journalist ist und sein Hirn einschaltet, ist dort sicherer als auf Mallorca.“

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