Porträt erschienen bei FAZ.NET (04.07.2017)
Von Martin Benninghoff
Ri Chun-hui war jahrzehntelang das Gesicht und die Stimme des nordkoreanischen Staatsfernsehens. Zu besonders wichtigen Anlässen darf die Rentnerin wieder ins Studio – so wie jetzt nach dem jüngsten Raketentest.
Ein Raketenstart – noch dazu einer angeblichen Interkontinentalrakete – ist in Nordkorea Chefinnensache. Als das Staatsfernsehen am Dienstag die frohe Botschaft ins eher eintönige Programm hob, saß eine alte Bekannte im Studio, die eigentlich längst in Rente ist: Ri Chun-hui, die mittlerweile legendäre und durch zahlreiche Parodien auch im westlichen Ausland bekannt gewordene Chefsprecherin der nordkoreanischen Staatsnachrichtensendung.
Jahrzehntelang war Ri Chun-hui das Gesicht und vor allem die Stimme des Staatssenders, der unter hundertprozentiger Kontrolle des Regimes steht. Nordkoreanische Nachrichtensprecher fallen ohnehin durch viel Pathos auf, aber die mittlerweile 73-Jährige ist die Meisterin ihres Fachs: Sie passt ihre Stimmmodulation den jeweiligen Ereignissen an, beherrscht die Klaviatur von tieftraurig bis euphorisch.
So war es ihr vorbehalten, der Nation den Tod von Staatsgründer Kim Il-sung zu verkünden. 1994 war das, und die anschließenden Fernsehbilder gingen um die Welt: Enthemmt weinten Menschen in Pjöngjang um den Mann, der ihnen stets als treusorgender Vater verkauft worden war. Auch Ri konnte oder wollte im Studio ihre Tränen nicht verbergen.
Schauspiel, Inszenierung – oder echt?
Ob das ernst gemeint war oder nur ein Schauspiel für Zuschauer, lässt sich nicht überprüfen. Auffällig ist nur, dass Ri Jahre später, 2011, ihre Tränen sehr wohl zurückhalten konnte, als sie vom Tod des Sohnes, Kim Jong-il, berichtete.
Nun war der Sohn beim Volk allerdings auch weit weniger beliebt als der Vater. Andererseits wird in der nordkoreanischen Propaganda, zu deren wichtigster Säule im Inneren des Landes das Fernsehen gehört, nichts dem Zufall überlassen. Es ist durchaus möglich, dass Ri hier einer strengen Choreografie folgt: Tränen beim Staatsgründer, „nur“ erstickte Stimme beim Sohn.
Anders als westliche Nachrichtensprecher, die sich mit der Nachricht nicht gemein machen wollen, wechselt sie ihre Kleidung je nach Nachrichtenlage: Bei Todesmeldungen trägt sie gelegentlich schwarz, bei anderen Themen bevorzugt sie ein westliches Kostüm oder ein traditionelles koreanisches Kleid, den Hanbok. Wenn wieder einmal ein Beitrag über den „Kriegstreiber Amerika“ oder die „Marionetten aus Japan“ läuft, moderiert sie in Wortwahl und Ton besonders aggressiv.
Über ihre Herkunft ist wenig bekannt. Ri soll 1943 in Korea geboren worden sein, das damals unter japanischer Besatzung stand. Später, als das Land in den kommunistischen Norden und den amerikanisch beeinflussten Süden getrennt wurde, studierte sie an der Universität für Theater und Film in Pjöngjang, wo sie auch heute noch leben soll.
Ein paar wenige Einblicke gab sie 2012 im chinesischen Sender CCTV. Angesprochen auf ihren Rückzug sagte sie damals, viele Ansagerinnen seien „jung und hübsch“ – und das sei angemessener für die Zuschauer. Zudem riet sie Nachrichtensprechern zu einem „eigenen Stil“, der sie unverkennbar mache.
Offenbar hält das nordkoreanische Regime Ris unverkennbaren Stil für besonders hilfreich und überzeugend. Erst recht, wenn die angebliche Interkontinentalrakete vielleicht doch nur eine Mittelstraketenrakete gewesen sein könnte, wie das russische Verteidigungsministerium am Dienstag behauptete.