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Bitte, wo geht’s nach Nordkorea?

Artikel erschienen in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und bei FAZ.NET (20.02. und 21.02.2018)

Von Martin Benninghoff

Der Amerikaner Ryan Burnett hat Haus und Besitztümer verkauft, um 100 Länder und mehr zu bereisen. Was treibt ihn an? Und warum schreckt er vor Diktaturen wie Nordkorea nicht zurück?

Was haben Nordkorea und Deutschland gemeinsam? Nicht viel, möchte man meinen, mit Ausnahme der Tatsache, dass beide Länder zu den Lieblingszielen von Ryan Burnett gehören. Der 33 Jahre alte Amerikaner aus Chicago reist seit August 2016 um die Welt. Sein Ziel: 100 Länder besuchen. Bei Nummer 90 ist er angekommen, bis Anfang der Woche befand er sich im Süden Koreas, in Pyeongchang, wo die Olympischen Spiele stattfinden – mittlerweile ist er wieder in Chicago, Zwischenstopp zuhause. „100 Länder zu besuchen wird immer schwieriger, je näher man dem Ziel kommt“, sagt Ryan. Wer die großen Länder besucht hat und sogar schon in den eher ungewöhnlichen Reiseländern Nordkorea oder Malawi war, muss sich nun den kleinen zuwenden: San Marino, Brunei, Tonga oder Nauru.

Was treibt Reisende an, die Länder sammeln wie andere Münzen oder Bierdeckel? Ryan denkt bei der Frage an seine Großmutter, sein großes Vorbild. „Als ich Kind war, erzählte sie mir von ihren Reisen, und wir schauten zusammen ihre Fotobücher an.“ Ihren Enkeln schenkte sie jeweils zu deren 16. Geburtstagen Geld und half, deren Pässe zu beantragen. Nur Ryan machte davon Gebrauch.

16 Jahre später, also vor gut zwei Jahren, verkaufte Ryan sein Haus in Amerika und die meisten seiner Besitztümer. Heute arbeitet er für eine amerikanische Online-Firma als Vertriebsmitarbeiter („es ist so langweilig, wie es klingt“) ohne Anwesenheitspflicht, als eine Art digitaler Nomade. Um auch in Kuala Lumpur oder Daressalam arbeiten zu können, muss er nur den Laptop aufklappen. Zudem belegt er Online-Kurse für seinen Master in Business Administration. „Schwierig, zu reisen, zu arbeiten und zu studieren, alles gleichzeitig“, sagt er. Seine Reiseziele sorgen für genügend Ablenkungen. Aber es geht.Außer Nordkorea und Deutschland („eines meiner Lieblingsländer, so gutes Essen, und die Leute so freundlich“) gehören die Mongolei, Vietnam, Frankreich, Russland, Ukraine, Tansania, Namibia zu seinen Zielfavoriten, und: Iran. „Neben Nordkorea das Land, das sich meiner Ansicht nach am stärksten unterscheidet von den meisten anderen Regionen der Welt, wo ich war“, sagt er. Die freundlichsten Leute, hilfsbereit und warmherzig, schwärmt er. Begeistert erzählt er, dass er eines Tages einen Soldatenfriedhof, wo Opfer des iranisch-irakischen Krieges begraben sind, besucht habe. Dort hätten ihm die einheimischen Familien von ihren verstorbenen Angehörigen erzählt und mit ihm ihr mitgebrachtes Essen geteilt. „Das war bewegend“, sagt er.

Wie viele Amerikaner spricht auch Ryan keine Fremdsprache, abgesehen von ein paar Brocken Spanisch und Deutsch. In der Mongolei, erzählt er, habe er einen großartigen Abend gemeinsam mit Sportlern in einem Wrestling-Trainingscamp gehabt, und das obwohl die Mongolen nur Mongolisch und er nur Englisch habe sprechen können. „Wir haben es mit Händen und Füßen hingebogen, Witze zu machen und Geschichten zu teilen“, erinnert er sich. „Ich versuche immer, mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen.“ Nur so könne man die „einzigartige Kultur, die jedes Land hat, selbst wenn die auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, begreifen“. Und die eigenen Klischees überprüfen, die „häufig falsch sind“.

Im eigenen Saft vor fremder Kulisse baden?

Dennoch, die Fotos auf seinem Blog zeigen auch: Reisende wie er suchen den Kick, das Besondere, das sich auf Instagram zeigen lässt, wie etwa die angeblich höchstgelegene Kneipe auf dem afrikanischen Kontinent, die Sani Mountain Lodge auf knapp 2900 Höhenmetern im Zwergstaat Lesotho. Und an solchen Orten treffen sie auf andere Ausländer, die es sich leisten können, herumzureisen. Die Gefahr, sich im eigenen kulturellen Saft vor fremder Kulisse zu baden, ist stets ein Reisebegleiter, wobei das Ryan entspannt sieht: Viele Freundschaften, die ihn mit anderen Reisenden verbindet, hielten oftmals länger und seien beständiger als solche, die man zuhause knüpft. Also, warum nicht?

Vor allem solche Freundschaften halten, die Ryan an ungewöhnlichen und irgendwie „feindlichen“ Orten geschlossen hat. Als amerikanischer Staatsbürger war er in einem Land wie Nordkorea unter besonderer Beobachtung, das schweißt mit anderen Amerikanern zusammen, die ebenfalls dort waren. Ryan besuchte Nordkorea mit „Young Pioneer Tours“, einer kleinen Reiseorganisation, die Trips in die entlegene Diktatur organisiert. Otto Warmbier, der amerikanische Student, der nach langer Haft in Nordkorea noch schnell nach Amerika ausgeflogen worden war und kurz danach dort starb, war ebenfalls mit der kleinen Reiseagentur im Land, das war nach Ryans Besuch.

Wie Warmbier schlief Ryan im „Yanggakdo“-Hotel in Pjöngjang, wie Warmbier erkundete Ryan den Hotelflur mit den Propagandaplakaten an der Wand, sogar derselbe Reiseleiter war dabei. „Mir hätte das genauso passieren können“, sagt Ryan. „Heute würde ich das nicht mehr machen, weil das nordkoreanische Regime offenbar jeden Anlass nutzt, um Druckmittel gegen Washington in die Hand zu bekommen.“ Amerikaner dürfen aber seit vergangenem Jahr ohnehin nicht mehr einreisen.Warum ausgerechnet Nordkorea? „Ich will auf Reisen raus aus der Komfortzone“, sagt er, und wo kann er das besser als in einem Land, das in der offiziellen Propaganda Amerikaner zu blutrünstigen Massenmördern abstempelt? Im Falle Ryans ist das gutgegangen, Warmbier hat mit seinem Leben bezahlt. Bislang in der Härte zwar ein Einzelfall, aber sicher, dass er wieder unbeschadet rauskommt, war auch Ryan nicht. „Ich glaube, dass der Austausch mit den Leuten in solchen Ländern wichtig ist und die Dinge ändern kann“, sagt er. Wandel durch Annäherung.

Die berühmte Gastfreundschaft der Deutschen?

„Das ist genau das, was während des ‚Arabischen Frühlings‘ passiert ist. Die Leute bekommen mehr Informationen und Ideen von außen und beginnen nachzudenken.“ Aber er verstehe die Kritiker, die sagten, die Devisen, die man als Reisender ins Land bringt, würden den Regimen helfen, ihre Ziele wie das nordkoreanische Atom- und Raketenprogramm zu verfolgen. Andererseits sei der Anteil der touristischen Einnahmen in diesem Land sehr gering und nicht ausschlaggebend.

Amerika bleibt für Ryan in Zukunft eher die Heimat der Kindheit, ihn treibt es in die Welt: Mitte 2018 plant er, nach Hanoi in Vietnam zu ziehen. Von dort aus lassen sich viele Länder bestens bereisen, die ihm noch fehlen: Taiwan, Philippinen, Brunei. Und nach Deutschland will er auch wiederkommen. Das Land, das in der Welt sicherlich für viele positive Dinge bekannt und berühmt ist, aber nur selten für eine große Gastfreundschaft im alltäglichen Umgang. Wer lädt hierzulande schon einen ausländischen Touristen direkt an den Abendbrottisch nach Hause ein? Obwohl, das könnte ein negatives Klischee über Deutschland sein, zumindest in den Augen Ryan Burnetts.

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