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So sieht ein Sieger aus

Analyse zum historischen Gipfeltreffen zwischen Kim Jong-un und Donald Trump – hier nachzulesen (erschienen am 12.06.2018 bei FAZ.NET)

Von Martin Benninghoff

Kim Jong-un nutzt das Gipfeltreffen für seine Zwecke, Donald Trump geht weitgehend leer aus. Nordkoreas Machthaber hat jahrelang auf diesen Moment hingearbeitet – und damit mehr erreicht als seine Vorgänger.

Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un ist schon wieder auf dem Weg zurück in sein Heimatland, als sein derzeit prominentester Fürsprecher auf die Bühne steigt und den Job für ihn macht: Donald Trump. Bei der Pressekonferenz nach dem historischen Händedruck der beiden Staatslenker zeigt sich der amerikanische Präsident in bester Plauderlaune. Der mächtigste Politiker der Welt beantwortet viele Fragen der Journalisten – und er lobt den Diktator des vergleichsweise kleinen und unbedeutenden Nordkorea. Und das nicht zu knapp: Kim Jong-un sei ein „sehr talentierter Mann“, eine „große Persönlichkeit“, ein „sehr geschickter Verhandler“, ein „sehr mächtiger Mann“, einer, der zudem „sein Land sehr liebt“, flötet der Präsident.

Es ist nicht überliefert, wie Kim die Lobeskaskade aufgenommen hat, ob er sich die Pressekonferenz im Flugzeug angeschaut hat. Aber es ist anzunehmen, dass er das mit Genugtuung tat. Er, der „little rocket man“, wie Trump ihn einst schimpfte, hat es mit dem Treffen in Singapur geschafft, egal was weitere Verhandlungen bringen oder zurechtstutzen. Selbst der Todfeind a. D. aus Amerika erkennt die Größe Kims an, sicherlich eine Steilvorlage für die staatstreuen nordkoreanischen Medien, die zur Stunde noch Ruhe halten und nur die Bilder Kims bei seiner Sightseeing-Tour in Singapur zeigen. In westlichen Medien ist nach dem Gipfel häufig von „Augenhöhe“ der beiden Staatsführer die Rede – in Wahrheit geht Kim Jong-un aber als Sieger vom Platz.

Mittel zur Machtsicherung

Kim Jong-un ist nicht nur ein gewiefter Kurzzeit-Taktiker, er ist ein gewiefter Stratege mit langem Atem. Das Treffen mit Trump, die Choreografie mit Händeschütteln und schönen Fotos vor den gleichrangig drapierten Flaggen Amerikas und Nordkoreas, die Bilder seiner lockeren Sightseeing-Tour durchs abendliche Singapur – all das ist der vorläufige Höhepunkt einer Strategie, die der junge Diktator seit einigen Jahren verfolgt. Sein Ziel: die internationale Anerkennung für sein Land, die Sicherung des Familienanspruchs auf die Macht in Pjöngjang, wirtschaftliche Erholung, um das politische System zu erhalten und die Eliten aus Militär und Partei zufriedenzustellen, und letztlich Stabilität und Ressourcen für eine Modernisierung Nordkoreas.

Das funktioniert nur, weiß Kim, wenn der Sanktionsring, der der Wirtschaft des Landes die Luft abwürgt, gelockert wird – und zwar bald. Und wenn sich der Staatsführer wirksam vor einem „regime change“ schützt. Letzteres ist ihm gelungen, indem er den Nachweis für funktionierende Atomwaffen liefern konnte, das war Phase zwei in seiner Amtszeit. Jetzt geht es ihm darum, der Wirtschaft auf die Beine zu helfen. Phase drei.

Vorbereitungen im Schnelldurchlauf

Von all dem war im Dezember 2011 nicht viel zu sehen, ja nicht einmal zu ahnen. Damals lief der unscheinbare junge Mann neben dem Leichenwagen mit dem Sarg seines kurz vorher verstorbenen Vaters Kim Jong-il her. Zwar war Kim Jong-un schon vorher auf Fotos aufgetaucht, meist in der Entourage seines Vaters. Aber im Gegensatz zu Kim Jong-il, der über viele Jahre zum Nachfolger seines Vaters, des Staatsgründers Kim Il-sung, aufgebaut worden war, musste der Dritte im Familienbunde in Windeseile auf seine künftige Aufgabe vorbereitet werden, nachdem Kim Jong-il einen Schlaganfall erlitten und sich nur mühsam und unvollständig erholt hatte.

Innerhalb von zwei Jahren wurde Kim Jong-ils dritter und jüngster Sohn beim Militär nach oben durchgereicht, in 2012 gar zum Marschall befördert. Man kann da nur spekulieren, aber in der patriarchalen Gesellschaftsordnung Nordkoreas, die zudem geprägt ist durch einen hohen Respekt vor dem Alter, dürfte das bei den altgedienten Militärs nicht gerade für Begeisterung gesorgt haben.

Doch so unscheinbar und emotional angefasst sich der junge Kim damals der Weltöffentlichkeit präsentierte (bei der Aufbahrung seines Vaters brach er im Pjöngjanger Kumsusan-Palast in Tränen aus), so rabiat und entschlossen ging er die erste Phase seiner Regentschaft an, die Phase der Machtkonsolidierung. Noch am Leichenwagen ging sein mächtiger Onkel Jang Song-thaek hinter ihm her, der bereits ein wichtiger Mitarbeiter seines Vaters gewesen war und dem man nachsagte, als möglicher Nachfolger bereit zu stehen.

Ein Schauprozess für den Onkel

Kim Jong-un brauchte zwei Jahre, um ihn spektakulär aus seiner Sitzung abführen und wenig später nach einem kurzen Schauprozess hinrichten zu lassen. Seinen älteren Halbbruder Kim Yong-nam ließ er wohl am Flughafen in Kuala Lumpur, Malaysia, mit einer Giftattacke hinrichten. Er hatte sich mehrfach negativ über das Regime seines Bruder geäußert – und galt ursprünglich einmal als Nachfolgekandidat für Kim Jong-il. Doch Kim Jong-un wollte kein Exil-Kabinett im Ausland entstehen lassen.

Er beließ es aber nicht bei diesen typischen Methoden stalinistischer Terror-Regime, sondern bot neben der Peitsche auch Zuckerbrot: „Lasst uns weiter den Fortschritt unserer Revolution beschleunigen, indem wir alle unsere Anstrengungen in den sozialistischen wirtschaftlichen Aufbau stecken“, verkündete er im April gegenüber Parteikadern und bekräftigte damit seine mehrfach getätigten Ankündigungen, den Wohlstand seiner Bevölkerung heben zu wollen.

Die Bautätigkeiten in den Städten, allen voran in Pjöngjang, aber auch in Wonsan zum Beispiel, wo ein Tourismusprojekt vorangetrieben wird, die neu entstandene Mittelklasse, die sich Handys, Restaurantbesuche und teilweise sogar Autos leisten kann, legen Zeugnis ab von den verbesserten Lebensumständen. Wobei: Wer übers platte Land reist, erkennt, wie weit weg Nordkorea noch von Glitzermetropolen wie Singapur oder auch nur Dandong an der Grenze zwischen China und Nordkorea am Fluss Yalu ist.

Kim weiß, die Entwicklung seines Landes hat Grenzen, zumindest dann, wenn es ihm nicht gelingt, die Sanktionen loszuwerden und den internationalen Handel wieder anzukurbeln. Nordkorea verfügt über große Rohstoffvorkommen und eine erst recht im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern hervorragend ausgebildete Bevölkerung – was daran liegt, dass Nordkorea einst ein Industriestaat war. Im Inneren hat der Diktator in den vergangenen Jahren vorsichtige marktwirtschaftliche Anreize gesetzt, zum Beispiel dürfen landwirtschaftliche Kooperativen einen Teil der Ernte behalten. Das ist noch keine Revolution, aber ein großer Schritt für ein Regime, das in der Vergangenheit mehrfach zurückgerudert war, weil sich plötzlich entfesselte marktwirtschaftliche Kräfte nicht mehr im Sinne der Regierung kontrollieren ließen.

Gerade die freien Märkte sind auch Austausch von Ideen und Orte der Kommunikation – und werden deshalb mit Argusaugen überwacht und streng aus dem Touristenprogramm für Nordkorea-Reisende herausgehalten. Um voranzukommen, braucht Kim aber auch mittelfristig Investoren aus dem Ausland. Seit mehreren Jahren liegt die Sonderwirtschaftszone bei Kaesong brach, wo südkoreanische Unternehmen mit nordkoreanischen Arbeitern produzierten. In andere Sonderwirtschaftszonen sind die Geschäfte nie so richtig in Gang gekommen.

Mit seinem Atom- und Raketenprogramm ist es Kim nun gelungen, sich an Trumps Verhandlungstisch zu drohen – vorausgegangen waren dem Monate mit gegenseitigen Verbal-Scharmützeln und Zerstörungsphantasien, sozusagen als Humus für den Boden, auf dem Kim nun pflanzt: Als nächstes wird er anstreben, das Sanktionsregime abzumildern, den Warenverkehr mit dem größten Handelspartner China wieder ins Rollen zu bekommen.

Wer weiß, welche Möglichkeiten sich da weiter bieten? Nachdem er seinem Regime die nötigen Machtmittel verschafft hat, nutzt er die günstige politische Konstellation: In Südkorea regiert der liberale Staatspräsident Moon Jae-in, der fast alles zu tun bereit ist, um den Friedensprozess am Leben zu erhalten. China ist interessiert an Ruhe im Unruheherd Nordkorea – der widerspenstige kleine Nachbar sorgt seit Jahren für Verdruss in Peking. Und mit Donald Trump sitzt ein unkonventioneller Präsident im Weißen Haus, der auf eingeübte Routinen eher allergisch reagiert.

„Vereinbarung hat keinen Wert“

So weit, so logisch. Kim Jong-un hat an diesem Dienstag das Beste für sich herausgeholt. Und Amerika? Die Vereinbarung habe aus der Sicht Amerikas „keinen Wert“, sagt Andrej Lankow, Professor an der südkoreanischen Kookmin-Universität. Amerika hätte „ernsthafte Zugeständnisse gewinnen können. Aber es wurde nicht getan.“ Stattdessen sei „Nordkorea ermutigt“ worden. Hannes Mosler, Korea-Forscher an der Freien Universität Berlin, sieht den Gipfel hingegen als Erfolg für beide, für Kim und für Trump: „Ich finde, das ist insgesamt ein beträchtliches Ergebnis, erst recht, wenn man die Umstände in Rechnung stellt. Es geht ja darum, einen Prozess anzustoßen und erst einmal für eine gute Atmosphäre zu sorgen – und für ein Sprungbrett für die weiteren Verhandlungen.“

Allerdings wartet auf Kim die richtige Bewährungsprobe erst noch: In den Verhandlungen, die Amerikas Außenminister Mike Pompeo laut Trump in der nächsten Woche starten soll, wird es darauf ankommen, einen detaillierten Abrüstungsplan für das nordkoreanische Atomprogramm auszuarbeiten. In der Logik Kims würde das bedeuten, dass er seine wichtigste Waffe aus der Hand gibt. Zu welchem Preis? Oder wird er nach den guten Absichtserklärungen vom Dienstag den Status quo in wenigen Tagen oder in drei Wochen oder erst in zwei Jahren wieder aufkündigen, um den alten Kreislauf von Drohung, Annäherung und neuerlicher Drohung wieder aufzunehmen? Das kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand vorhersehen, außer Kim Jong-un selbst. Und der wird sich nun erst einmal in seinem Gipfel-Erfolg sonnen – und warten, was sich herausverhandeln lässt. Ende offen. Wie freundlich Trump dann noch über ihn spricht, werden wir via Twitter erfahren. Oder in einem neuen Buch von John Bolton.

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