Erschienen bei FAZ.NET (22.08.2018)
Baschar al Assad hat in London studiert, Gaddafis Sohn wurde dort promoviert, und Kim Jong-un ging in der Schweiz zur Schule. Nutzt alles nichts! Warum werden aus Diktatorensöhnen trotzdem wieder nur neue Diktatoren?
Von Martin Benninghoff
Wer in der Schweiz bestätigen lassen will, was ohnehin so wahrscheinlich ist, dass es alle wissen, stößt auf eine Mauer des Schweigens. Noch immer, neun Jahre nach dem großen Coup.
Es ist das Jahr 2009, noch regiert in Nordkorea Kim Jong-il, aber die Jahre mit französischem Cognac haben bei ihm Spuren hinterlassen. Der Diktator ist alt geworden, die Folgen eines Schlaganfalls machen ihm zu schaffen, die Frage nach seiner Nachfolge drängt. Kim Jong-un, der drittälteste Sohn, erscheint auf der Bildfläche, reist immer häufiger im Tross des greis wirkenden Diktators mit. Da berichten zuerst japanische, danach südkoreanische Medien, dass der kommunistische Kronprinz des verarmten Landes in der Schweiz zur Schule gegangen sein soll, und zwar auf die Steinhölzli Schule in Liebefeld, Kanton Bern.
Schnell wird die Schule von Journalisten belagert, werden Lehrer und Schüler von Kamerateams umringt. Die zuständige Gemeindeverwaltung Köniz zieht die Reißleine und die Öffentlichkeitsarbeit an sich und gibt eine Mitteilung heraus, die lästige Fragen abbügeln soll: „Von August 1998 bis Herbst 2000 besuchte ein Jugendlicher aus Nordkorea die Schule. Er war als Sohn eines Botschaftsangestellten angemeldet. Der Schüler galt als gut integriert, fleißig und ehrgeizig. Sein Hobby war Basketball.“ Natürlich ist das Thema damit nicht erledigt.
Die Leidenschaft für Basketball bestätigen Mitschüler und Lehrer. Die gute Integration hingegen bleibt eine Behauptung, seit sich eine Mitschülerin anonym in einer Zeitung nur an einen „aggressiven Typen“ zu erinnern vermochte, der „uns in die Schienbeine“ getreten und „uns sogar angespuckt“ habe. Dass es sich bei dem Jungen um den heutigen nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un handelte, ist fast sicher: 2012 gab die Schweizer Sonntagszeitung eine biometrische Analyse der Gesichter des jungen und älteren Kims in Auftrag. Ergebnis: eine Übereinstimmung von 95 Prozent.
Bis heute weigern sich die Schule und die zuständige Gemeindeverwaltung zuzugeben, dass der Diktator Schüler in Liebefeld war. Selbst als in jüngster Zeit ein nahezu untrügliches Indiz hinzukam: Beim Gipfel mit dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in im Vorfeld des Treffens mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump wurden dem Machthaber aus Pjöngjang Rösti kredenzt, mit koreanischer Note, wie man lesen konnte. Mehr Schweiz geht nicht. Aber selbst das lässt den Sprecher der Gemeinde Köniz, Godi Huber, nicht sein Schweigegelübde brechen: „Von jeglicher weiterer Kommunikation sehen wir ab.“
Dabei wären weitere Auskünfte über Kim Jong-uns Integrationsfähigkeiten in einer westlichen Schule sogar weltpolitisch relevant. Denn die Frage, welchen Einfluss die westliche Erziehung auf einen Diktatorenspross wie Kim hat, ist nicht abschließend beantwortet. Ist ein Diktator, der in der Schweiz zur Schule gegangen ist, durch die dortige Demokratie, die Wahrung der Menschenrechte und möglicherweise den Ausflug ins örtliche Geschichtsmuseum mit dem Geist der Freiheit infiziert? Könnte man den globalen Despotennachwuchs nicht nach Bern, Cambridge oder Salem holen, um die Vererbungslehre der Familienclans und -dynastien, die sich ganze Staaten Untertan machen und ausbeuten, ein für alle Mal zu durchbrechen?
Sie bleiben in autoritären Denkmustern stecken
Die Chancen stehen nicht schlecht: „Durch den Aufenthalt in der westlichen Welt und die dortige Ausbildung erkennen sie die Defizite ihres Heimatlandes in vielen Entwicklungsbereichen“, sagt Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz. Die Frage ist aber: Schließt dieser Erkenntnisgewinn Demokratie und Menschenrechte ein, oder nehmen die Diktatorenkinder vor allem die technische und möglicherweise industrielle Rückständigkeit ihrer Heimat wahr – bleiben ansonsten aber in ihren autoritären Denkmustern stecken, die sie von Kindesbeinen an erlernt haben?
Einer, bei dem man anfangs dachte, er könne seinem Land einen demokratischen Schub geben, ist Baschar al Assad. Der syrische Präsident studierte in London Medizin, seine Frau entstammt einer syrischen Arztfamilie, wuchs in London auf, wo sie als Muslimin auf eine christliche Eliteschule ging. Als der eigentlich zum Nachfolger bestimmte Bruder Assads, Basil, 1994 bei einem Autounfall ums Leben kam, baute der Vater, der syrische Präsident Hafiz al Assad, seinen weithin unbekannten jüngeren Sohn Baschar zum Kronprinzen auf. Der weckte bei westlichen Beobachtern Hoffnungen auf demokratische Reformen, wegen seiner westlichen Ausbildung in Großbritannien und wohl auch wegen seines weicheren, antimilitaristischen Auftretens, das im Gegensatz zur Schneidigkeit seines Bruders stand.
Dass diese Hoffnungen mittlerweile enttäuscht wurden, muss nicht weiter ausgeführt werden: Im syrischen Bürgerkrieg zeigte sich Baschar al Assad genauso willig wie sein Vater, die Zivilbevölkerung zu bombardieren und mit Giftgas gnadenlos umzubringen. Allerdings zeigte sich jüngst beim öffentlichkeitswirksamen Umgang mit der Brustkrebserkrankung seiner Frau eine Prägung, die man eher aus westlichen Mediengesellschaften kennt: Assad ließ ein Foto veröffentlichen, auf dem seine abgemagerte schwerkranke Frau am Tropf hängt (lesen Sie dazu das Stück „Brustkrebs als Propagandawaffe“ der Kollegin Livia Gerster). So viel Transparenz ist man eher aus demokratisch verfassten Ländern gewöhnt, wenn man nur mal an den Umgang des damaligen SPD-Fraktionschefs und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier mit der Nierenspende an seine Frau denkt.
Ähnlich ernüchternd wie das Beispiel Assads ist das von Saif al Islam, des zweitältesten Sohnes des gestürzten und dann 2011 ermordeten libyschen Diktators Muammar al Gaddafi. Der smarte Diktatorensohn, der, im Gegensatz zu seinem stets in allerlei Fantasieuniformen oder Beduinengewändern gehüllten Vater, im westlichen Anzug eine gute Figur abgab und sogar seine Dissertation, welch Ironie, über Demokratisierung und Zivilgesellschaft an der London School for Economics and Political Science schrieb, peitschte im Bürgerkrieg die Anhänger seines Vaters in aggressiven Reden zum Widerstand gegen die Rebellen auf. Nachdem ihn der Internationale Strafgerichtshof nach Den Haag ausliefern lassen wollte, verurteilte ein libysches Gericht Saif al Islam Gaddafi zum Tod – 2017 kam er im Rahmen einer Generalamnestie frei.
Die Reihe der Beispiele lässt sich fortsetzen. Saloth Sar, der in den 1970er Jahren unter dem Namen Pol Pot sein Heimatland Kambodscha ruinierte und in die dunkelste Epoche seiner Geschichte führte, hatte mit Mitstreitern wie Ieng Sary, seinem späteren Außenminister, in den 1950er Jahren in Paris studiert – und war dort mit dem Kommunismus in Berührung gekommen. Anders als Kim Jong-un waren Pol Pot und Ieng Sary allerdings schon erwachsene Menschen, charakterlich weithin gefestigt. Auch waren sie nicht zu Diktatoren geboren wie Assad, Kim oder Gaddafis Sohn, die von ihren Eltern in den Westen geschickt wurden, „um eine bessere und vor allem modernere Ausbildung zu erhalten, die in ihrem Heimatland nicht angeboten wird“, sagt Günter Meyer. Mit einer hochwertigen Ausbildung sollten die zukünftigen Herrscher qualifiziert werden – und den Sinn für neue Technologien mitbringen, um „nach ihrem Amtsantritt die Herrschaft der Diktatorenfamilie weiterhin zu sichern“.
Zumal die Zeit im Westen begrenzt ist. Kehren die Nachwuchsdespoten in ihr Heimatland zurück, finden sie meist die alten Strukturen wieder: Stammesverbindungen wie in Libyen, eine konfessionelle Zersplitterung wie in Syrien, die Geheimdienste und den besonders bizarren Personenkult wie in Nordkorea. Frederick Coolidge, Psychologie-Professor an der amerikanischen Universität Colorado Springs, der Profile über Saddam Hussein, Kim Jong-il und Adolf Hitler geschrieben hat, ist davon überzeugt, dass Charaktereigenschaften wie Narzissmus oder besonders stark ausgeprägtes paranoides Verhalten zu einem überwiegenden Anteil genetisch bedingt sind – und nicht die Folge von Erziehung. „Menschen werden mit starken Prädispositionen geboren“, sagt er im Gespräch mit FAZ.NET. „Deshalb nutzt westliche Erziehung nur bedingt.“ Anders gesagt: Ein Schulbesuch in der Schweiz kann nichts ändern, wenn die Gene einen Menschen zum paranoiden Herrscher stempeln. Seiner Meinung nach dienen die Auslandsaufenthalte an Universitäten wie Yale oder Harvard dem Prestige der Herrscherfamilie, gerade in ärmeren Entwicklungsländern ein wichtiges Pfund. Selbst die Führer der großen Regionalmacht Ägypten setzen auf eine westliche Erziehung: Gamal Mubarak, der seinem Vater Husni Mubarak, dem langjährigen ägyptischen Staatspräsident, nach allen Vorhersagen im Amt hätte folgen sollen, studierte zwar im Heimatland, dort aber auf der Amerikanischen Universität in der Hauptstadt Kairo.
Doch selbst wenn Diktatorenkinder mit demokratischen Gedanken in Berührung kommen und danach in die Heimat zurückkehren – warum sollten sie daran denken, die Herrschaft der Familie über den Staat in freien Wahlen zur Disposition zu stellen? Zumal in lebensbedrohlichen Umfeldern, die die Existenz ihrer Familien gefährdeten wie in Syrien, wo die Herrscherfamilie zu der von den Sunniten verachteten Minderheit der Alawiten gehört? Die Beispiele gescheiterter Staaten wie Libyen nach der Ära Gaddafi oder Irak nach dem Sturz Saddam Husseins dürften den Diktatorenfamilien Assad und Kim, die noch in ihren Machtzentralen sitzen, eine eindringliche Warnung sein. Sie wären nach einer Demokratisierung ihrer Länder Fälle für Lynchjustiz wie Gaddafi, für Gerichte oder den Strick wie Hussein, im besten Falle fürs Exil wie Ugandas Idi Amin.
Vielleicht deshalb gibt es kaum ermunternde Beispiele. Sucht man mit der Lupe, findet man mit Abstrichen König Abdullah II., den König von Jordanien. Nicht dass er ein lupenreiner Demokrat wäre, Menschenrechtler kritisieren nach wie vor erhebliche Mängel bei der Rede- und Pressefreiheit. Dennoch: Der Absolvent der elitären Militärkaderschmiede im britischen Sandhurst genießt als nahöstlicher Vermittler mit Westbindung hohe internationale Reputation. Seine Frau Rania legte sich öffentlich mit Islamisten an und klagte die arabisch-islamische Welt an, sie setze sich zu wenig gegen den Missbrauch des Islams durch Terroristen zur Wehr. Ob das ein Ergebnis ihrer westlichen Ausbildung ist, die sie, wie Mubaraks Sohn, unter anderem an der Amerikanischen Universität in Kairo absolvierte? Schwer zu sagen.
Augenfällig ist das nur bei ihrem Mann: König Abdullah II. ist bekennender Star-Trek-Fan und hat es sogar schon zu einem Gastauftritt als Fähnrich in der Star-Trek-Serie „Voyager“ gebracht. Die ist durch Militär und Uniformen geprägt und vertritt zugleich die Philosophie, dass selbst Romulaner und Klingonen in den Genuss unveräußerlicher Menschenrechte kommen. Eine beruhigende Botschaft.