Viel mehr Symbolik geht nicht. Das war bereits klar, als sich Kim Jong-un und Donald Trump am 12. Juni 2018 zum ersten Mal die Hände reichten. So dünn ihre gemeinsame Erklärung inhaltlich auch geriet, so stark war ihr Signal, das beide aus Singapur in die Welt geschickt haben: Hier wollen zwei Staatsführer zueinanderfinden, die einander noch wenige Monate zuvor mit Raketen und Bomben gedroht hatten. Die Kommentatoren waren sich dennoch nahezu einig. Symbolpolitik nutzt sich schnell ab, wenn keine konkreten Ergebnisse folgen
Das zweite Treffen von Kim und Trump, das am Mittwoch und Donnerstag in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi stattfinden soll, steht deshalb unter großem Erfolgsdruck. Seit Monaten bereiten Unterhändler den Gipfel vor, unter anderem mit Treffen in Schweden, das über gute Kontakte nach Nordkorea verfügt. „Sowohl Trump als auch Kim brauchen vorzeigbare Ergebnisse“, sagt Hartmut Koschyk, der ehemalige Vorsitzende der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Allen Beteiligten sei klar, dass ein Scheitern keine Option sei. Insofern ist anzunehmen, dass das zweite Gipfeltreffen deshalb stattfindet, weil sich beide Seiten bereits auf etwas verständigt haben. Aber auf was?
Symbolische Friedenserklärung möglich
Die Gipfelerklärung von Singapur gibt eine Art Fahrplan vor: Beide Seiten hatten in einem ersten Punkt bekräftigt, neue Beziehungen aufbauen zu wollen – was in gewisser Weise bereits gelungen ist. Im zweiten Punkt ist von „Bemühungen zur Schaffung eines dauerhaften und stabilen Friedensregimes“ die Rede. Diesem Wunsch könnten nun konkrete Taten folgen. Noch immer ist der Kriegszustand auf der koreanischen Halbinsel nach dem Ende des Koreakrieges 1953 offiziell nicht beendet. Ein formaler Friedensvertrag müsste diesen Schwebezustand eines Tages beenden. Dazu bedürfte es jedoch mehrerer Vertragsparteien, darunter China und die Vereinten Nationen.
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Bei den Vorbereitungstreffen wurde dem Vernehmen nach über die Möglichkeit gesprochen, dass eine symbolische Friedenserklärung Kims und Trumps eine Vorlage geben könnte, um danach zu einem völkerrechtlich gültigen Friedensvertrag zu gelangen. Nordkorea, die Vereinigten Staaten, China und sehr wahrscheinlich auch Südkorea, das damals die Unterschrift unter das Waffenstillstandsabkommen verweigert hat, könnten danach den Vertrag ratifizieren. Eine symbolische Friedenserklärung in Hanoi würde diesen Weg beschleunigen, sie wäre damit weit mehr als bloß ein weiteres Kapitel schöner Symbolpolitik. Der Weg ist jedoch deshalb kompliziert, weil ein Friedensvertrag das Mandat der Vereinten Nationen auf der koreanischen Halbinsel beenden könnte. So weit ist man noch nicht.
Ob
sich Donald Trump auf eine solche symbolische Friedenserklärung
einlässt, hängt in entscheidendem Maße davon ab, ob sich Kim Jong-un zu
einem Gegengeschäft überreden lässt. Eine Friedenserklärung wird Kim nur
bekommen, wenn er sich auf einen konkreten Fahrplan für die
versprochene nukleare Abrüstung einlässt. Das ist der dritte und mit
Abstand wichtigste Punkt der Erklärung von Singapur. Die Amerikaner sind
vor allem an der Denuklearisierung interessiert, auch wenn sie in der
Zwischenzeit von Maximalforderungen nicht mehr viel wissen wollen.
Sollte Kim nicht wenigstens ein kleines Zugeständnis bieten, dürfte der
Gipfel ohne Ergebnis bleiben.
Wie könnte ein Ergebnis aussehen? Als wahrscheinlich gilt, dass Kim die für ihn am niedrigsten hängenden Trauben pflückt, indem er internationale Inspekteure mit technischen Überwachungsgeräten zu einzelnen Anlagen seines Kernwaffenprogramms reisen lässt, etwa zum Atomwaffentestgelände Punggye-Ri und zu der bekannten kerntechnischen Aufbereitungsanlage Yongbyon. Letztere könnte er schließen oder teilweise sprengen lassen. Für Punggye-Ri hatte Kim bereits im vergangenen Jahr eine Einladung ausgesprochen. Das wäre also machbar. Allerdings ist zweifelhaft, ob das Gelände für sein Atomprogramm überhaupt noch von Bedeutung ist. Keine Rede ist bislang davon, dass sich Inspekteure unangemeldet und überall im Land bewegen dürfen.
Liste mit Zahl der Atomsprengköpfe?
Noch weniger wahrscheinlich ist die von Amerika geforderte umfassende Bestandsliste mit der Zahl der Atomsprengköpfe, der Menge spaltbaren Materials und der entsprechenden Aufbereitungsanlagen. „Daran glaube ich im Moment nicht“, sagt Bernhard Seliger, Leiter des Büros der Hanns-Seidel-Stiftung in Seoul. „Gut wäre ein konkretes Ergebnis im Raketenbereich.“ Denn eine zentrale Rolle für die Verhandlungen mit Amerika spielt das Arsenal an Langstreckenraketen, mittels deren Nordkorea amerikanisches Territorium erreichen könnte.
Kim könnte also begrenzte Inspektionen zusagen und einige wenige Anlagen offenlegen. Auch dafür würde er eine in seinen Augen gleichwertige Gegenleistung einfordern: Sanktionserleichterungen. Jedoch ist nicht zu erwarten, dass sich Donald Trump bereits zum jetzigen Zeitpunkt auf wesentliche Sanktionserleichterungen einlässt. Die Sanktionen sind und bleiben das wichtigste Druckmittel der Staatengemeinschaft. Sie leichtfertig aus der Hand zu geben wäre naiv und vorschnell. Der Dialog mit der amerikanischen Regierung ist für Kim und sein Regime auch deshalb wichtig, um China, dem wichtigsten Nachbarn, mit dem Nordkorea fast seinen gesamten Außenhandel abwickelt, aus der Phalanx der Sanktionsbefürworter herauszulösen. Das ist bereits teilweise gelungen, denn Xi Jiping stellte sich zuletzt demonstrativ hinter Kim, und aus Peking wurden erste Stimmen für eine Entschärfung der Sanktionen laut.
Donald Trump verspricht Kim nach einer Einigung in der Nuklearfrage einen wirtschaftlichen Aufschwung. So hat er bereits geschrieben: „Nordkorea wird eine andere Art von Rakete werden – eine wirtschaftliche.“ Denkbar ist, dass sich die Konfliktparteien, unter Einbeziehung Südkoreas, darauf einigen, geschlossene Kooperationsprojekte – wie die Tourismusregion Kumgangsan oder den Industriekomplex Kaesong – wieder in Gang zu bringen. Trump könnte zudem finanzielle Hilfe für die Renovierung der maroden Infrastruktur in Aussicht stellen, Investitionen ins Schienennetz oder in die Sonderwirtschaftszonen. Dazu könnte mittelfristig ein entsprechender Fonds aufgelegt werden.
Ob es dazu kommt, hängt maßgeblich davon ab, ob sich die Unterhändler auf ein Maßnahmenpaket einigen, mit dem beide Seiten zufrieden sind. Denn sowohl Kim als auch Trump (und erst recht der südkoreanische Präsident Moon) müssen im eigenen Land mit Kritikern rechnen, die den aus ihrer Sicht übertriebenen Kuschelkurs lieber heute als morgen beenden würden. Abgesehen von innenpolitischen Risiken, würde im Falle eines Scheiterns erst einmal wenig geschehen: Denn bisher haben die beiden Staaten nicht viel preisgegeben. Für die Menschen auf der koreanischen Halbinsel wäre das jedoch eine schlechte Nachricht.