Kolumne GRENZGÄNGER bei OPINION CLUB (07.10.2015)
Von Martin Benninghoff
Wir sind viel zu zaghaft, wenn es um Kontakte zu Autokraten und Despoten geht. Wer die Krisen der Welt lösen will, muss mit den schlimmsten Machthabern im Austausch bleiben.
Seit zwei Jahren versuche ich, ein Interview mit Kim Jong-un zu bekommen.
Klingt komisch? Ist aber so!
Jeden zweiten verdammten Monat schicke ich zwei Briefe an zwei offizielle Adressen Nordkoreas, und noch nie habe ich Antwort erhalten. Noch nicht einmal eine Absage kassiert. Jämmerlich.
Eine Vermutung, woran das liegen könnte, habe ich natürlich: Kim Jong-un hat keinen PR-Berater, der ihm steckt, dass sein Image in Deutschland und Europa, nun ja, Luft nach oben hat. Potenzial sozusagen. Die offiziellen Pressemitteilungen aus Pjöngjang (Atomtests und so weiter) sind da eher kontraproduktiv. Warum sagt ihm das keiner?
Hiermit biete ich mich offiziell an, den selbsternannten Führer in dritter Generation zu interviewen. Dafür würde ich mal wieder gen Pjöngjang reisen.
Jetzt warte ich auf Ihre Einladung, Kim Jong-un, Briefkasten und Mailbox haben genügend Speicherplatz. Meine Adresse kennen Sie ja.
Bevor Sie nun sagen: Was für ein Wichtigtuer – so meine ich es nicht, ehrlich! Mir geht es nur darum, nichts aber auch rein gar nichts auszuschließen, selbst kein Gespräch mit den übelsten Burschen, die die Welt zu bieten hat. Wenn man keine andere Wahl hat, muss man mit dem Personal klarkommen, das am Ruder ist. Bitter, aber wahr!
Natürlich ist mir bewusst, dass ich mich so zum nützlichen Idioten des Regimes in Pjöngjang machen würde. Aber ich würde das sehr gerne tun, weil ich lieber ein nützlicher Idiot bin als ein Idiot, der zuhause hockt und nur Ferndiagnosen zu politischen Ereignissen erteilt.
Ich glaube nämlich zusehends, dass ein Teil unserer politischen Krisen auf Ignoranz und abreißende Gesprächsfäden zurückgeht. Ja, selbst mit Kim Jong-un wäre es gut, ins Gespräch zu kommen; zumindest besser als Jahrelang nur Witze über seine Frisur zu reißen statt die Gefangenen in den Arbeitslagern Nordkoreas zu thematisieren. Es ist ein Trauerspiel, wie hierzulande über den Mann berichtet wird.
Gescheiterte Schweigespirale
Erst recht aber würde sich ein Gespräch mit Syriens Diktator Baschar al-Assad lohnen, der ein Lump und Mörder ist, aber dummerweise eben noch an zentraler Stelle sitzt, jetzt Arm in Arm mit Russlands Wladimir Putin. Erst müsse Assad weg, dröhnten die Amerikaner viel zu lange und wir auch, dann könne man miteinander sprechen. Pustekuchen.
Was, bitte schön, hat diese Schweigespirale gebracht, außer dass diese die syrische Regierung weiter in die Arme Putins und dessen Politik um Macht und Einfluss in Syrien und der Region getrieben hat?
Ja, sorry, war eine rhetorische Frage.
Verharmlosen wäre dabei genauso falsch wie Dämonisieren. Zwischen diesen beiden Polen liegt allerdings das kritisch-konstruktive Gespräch, das die Interessen des jeweiligen Gesprächspartners beziehungsweise Gesprächsgegners aufzuzeigen versucht. Motive eben.
Journalisten, Politiker und Unternehmer, die Putin nahe kommen und ihn als Machtpolitiker zu erklären versuchen, werden in Deutschland gerne als „Putin-Versteher“ diskreditiert. Dabei sagen deren persönliche Eindrücke sowie Umstände ihrer Beziehungen zu Russlands Präsidenten mehr aus als tausend Leitartikel mit Ferndiagnosen oder vagen Psychogrammen nach Betrachten von Fernsehbildern. Auch wenn man ihnen natürlich schon kritisch auf die Finger klopfen sollte, ob sie sich nicht auch ein wenig naiv einspannen lassen in die Öffentlichkeitsarbeit des Moskauer Präsidenten.
Aber zurück nach Pjöngjang: Man kann natürlich fragen, welcher Erkenntnisgewinn in einem Interview mit Kim Jong-un läge. Vermutlich müsste ich jede einzelne Frage vorher einreichen, und wahrscheinlich würde mir die Hälfte der Fragen gestrichen werden. Dennoch, das Wichtige steckt nicht im Gesagten, sondern im Erlebten. Anreise, Schwierigkeiten, Atmosphäre – was für ein Mensch, welche Motive? Diese Ingredienzien könnten eines Tages zum Rezept reifen und zum Verstehen dieses mysteriösen Landes beitragen.
Auferstehung der Ignorierten
So sicher wie das Amen in der Kirche wenden jetzt Kritiker ein, man würde diesem Autokraten oder jenem Despoten eine öffentliche Plattform bieten, die sie nicht verdienten. Das ist von einem moralischen Standpunkt aus gesehen zwar richtig, nicht aber von einem realpolitischen. Wer etwas erreichen will, muss sich am Erreichten messen lassen – nicht ausschließlich an der Heiligkeit der Mittel. Massenmörder zu hofieren geht nicht; Massenmörder zu befragen schon.
In diesen Tagen bekommt dieser Ansatz – wie ich finde – einen frischen Richtigkeitsanstrich. Nicht nur Assad ist wieder aus der kommunikativen Versenkung auferstanden, nicht nur der sanktionierte Putin hat das Heft des Handels erneut an sich gerissen, auch der von EU-Seite seit Jahren hingehaltene türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wird plötzlich wieder zum umschmeichelten Partner für Brüssel – weil sich die EU einen wichtigen Part der Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise erhofft (wobei ich hier Erdogan nicht in eine Reihe mit Gewalttätern wie Assad oder Kim stellen will).
Schön und gut, könnte man sagen, hätte man den Türken nicht jahrelang die europäische Tür vorm Gesicht zugeschlagen. Deutschland – allen voran CDU/CSU – hat gebetsmühlenartig von „privilegierter Partnerschaft“ gefaselt statt der Türkei eine echte Beitrittsperspektive zu geben oder ihr eine ehrliche Absage zu erteilen. Mit dem Ergebnis, dass sich viele Türken mittlerweile von Europa gar nichts mehr versprechen und Erdogan seine reaktionäre konservativ-islamische Politik auf der Frustration seiner Bürger gedeihen lassen kann. Gespräche führen heißt auch: klare Ansagen machen, mit denen der Partner dann umgehen kann.
In der derzeitigen hochbrisanten internationalen Krisenlage – von Afghanistan über Irak bis Syrien – können wir es uns nicht mehr leisten, irgendwen zu meiden. Das gilt auch für Akteure abseits der Präsidentenpaläste: Mit den Taliban in Afghanistan und Pakistan muss ebenso verhandelt werden wie mit dem „Islamischen Staat“, so schwer und unmoralisch das erscheinen mag. Diese Halsabschneider gehören mit an den Tisch, solange sie eine machtvolle Rolle im Syrien- und Irak-Chaos spielen.
Wer immer auch in Damaskus am Tisch einer Regierung der „nationalen Einheit“ sitzen könnte in der Zukunft – das wird bestimmt keine Veranstaltung der guten Regierungsführung. Wer aber den Bürgerkrieg beenden will, muss mit allen Beteiligten sprechen. US-Präsident Obama hat einen Anfang gemacht und mit Putin zumindest mal wieder persönlich unter vier Augen gesprochen – aller Antipathie zum Trotz.
Martin Benninghoff, Journalist in Berlin und Redakteur bei „Günther Jauch“, schreibt die OC-Kolumne „Grenzgänger“ jeden zweiten Mittwoch.