(Erschienen in: Handelsblatt.de, 19.12.2011)
Nordkoreas verstorbener Diktator Kim Jong Il hat sein Land zu Grunde gewirtschaftet. Selbst winzige Reformen stießen bei ihm auf Argwohn. Eine Reise durch ein bitterarmes Land, dem die Perspektive fehlt.
Von Martin Benninghoff
Nirgendwo wird der Unterschied zwischen dem verarmten Nordkorea und dem im Vergleich prosperierenden China deutlicher als an der Grenze beider Staaten: Die futuristische Skyline der chinesischen Grenzstadt Dandong glitzert in der Mittagsonne, während Nordkoreas Pendant auf der anderen Seite des Grenzflusses Yalu, Sinuiju, wie ein Gegenentwurf wirkt: Grau in Grau rahmen halbverfallene Betongebäude eine uralte Kirmes ein, die am Ufer vor sich hin gammelt. Nur ein Steinwurf voneinander entfernt, und doch erscheinen beide Länder wie zwei Welten. „Mich erinnert Nordkorea sehr an das China Maos“, erklärt ein Geschäftsmann aus Shanghai, der im Zug von Peking nach Pjöngjang sitzt. Längst ist die Fahrt nach Nordkorea auch für Chinesen ein Trip ins realsozialistische Freilichtmuseum geworden.
Das Regime um den Diktator Kim Jong Il möchte diese Seiten seines verarmten Landes westlichen Ausländern am liebsten vorenthalten. Viele Besucher – erst recht Amerikaner, die nur direkt nach Pjöngjang fliegen, nicht aber den Zug nehmen dürfen – bleiben meist im „Schaufenster“ Nordkoreas, der vergleichsweise modernen Hauptstadt Pjöngjang. Dort feiert sich Nordkorea im kommenden Jahr selbst, wenn Kim Jong Ils Vater Kim Il Sung, laut Verfassung „ewiger Präsident“, 100 Jahre geworden wäre. Sein Sohn braucht den Glanz des Vaters zum eigenen Machterhalt. Damit das Geburtstagsspektakel mit den typischen Paraden und Ausstellungen die eigene Bevölkerung überhaupt noch beeindrucken kann, braucht es Ausländer in der Stadt. Die nationale Fluggesellschaft „Air Koryo“ fliegt deshalb sogar ein paar Mal von Berlin nach Pjöngjang – nach einem jahrelangen Verbot aus Sicherheitsgründen darf sie das mit ihren beiden neuen Tupolevs wieder.
Wer nur Pjöngjang sieht, könnte tatsächlich auf die Idee kommen, dem Land gehe es wirtschaftlich besser und die Menschen seien freier als noch vor ein paar Jahren. Im Vergleich zu früher fahren erstaunlich viele Autos auf den stalinistischen Prachtboulevards der Drei-Millionen-Einwohner-Metropole. Man sieht mehr Menschen mit ihren Handys telefonieren, und auch das 337 Meter hohe „Ryugyong“-Hotel, das fast 20 Jahre lang als Bausünde die Stadt verschandelte, erstrahlt nun mit blauer gläserner Fassade.
Mit 3000 Zimmern sollte es einst das größte Hotel der Welt werden, bis dem „großen Führer“ 1991 das Geld ausging. Nun investiert die ägyptische Holding Orascom in den Weiterbau, die dafür die Erlaubnis von Kim Jong Il bekommen hat, das Handynetz „Koryolink“ aufzubauen und zu betreiben. Handys sind die absolute Neuheit auf Pjöngjangs Straßen und sicher auch ein Privileg der Mittelschicht, die der renommierte Korea-Forscher Rüdiger Frank von der Universität Wien auf eine halbe Million Menschen schätzt. An den Bushaltestellen kleben sogar Werbeplakate, wo vorher nur Propagandasprüche standen. Nach Angaben Orascoms sind mehr als 430.000 Handyverträge verkauft worden – jetzt peilt das Unternehmen die Millionengrenze an.
Für die meisten Nordkoreaner beschränkt sich das Telefonieren jedoch aufs Inland. Kim Jong Il geht es ohnehin mehr um Standortpolitik als um die Freiheiten seiner Bürger: In einer Umfrage unter chinesischen Unternehmern im Land monierten 84 Prozent die desaströsen Telefonverbindungen, die das Geschäftemachen erschwerten. Bei 24 Millionen Einwohnern existieren gerade mal 1,1 Millionen Festnetzanschlüsse – und Ausländer zahlen 600 Euro für einen Breitbandanschluss im Monat, erzählt Armin Herdegen, der für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) bis zum Sommer diesen Jahres in Pjöngjang arbeitete.
Kims Standortpolitik ist der planwirtschaftliche Versuch, etwas mehr Dynamik in die Wirtschaft zu bringen. Der Außenhandel zeigt nach wie vor ein chronisches Defizit, das Land leidet an einem dramatischen Devisenmangel. Das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner lag in 2009 nach Angaben der „Bank of Korea“ bei nur noch 960 US-Dollar – auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Damit ist die Kluft zwischen Nord- und Südkorea heute vielfach größer als seinerzeit zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Die Produkte in den Läden, aber auch in den Messehallen der „Drei-Revolutionen-Ausstellung“ in Pjöngjang sind hoffnungslos veraltet, wie man auch als Laie unschwer erkennen kann. Mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme in Osteuropa fielen wichtige Handelspartner weg, die Wirtschaft kam zum Erliegen. Eine gescheiterte Währungsreform vor zwei Jahren beschädigte zudem den innerkoreanischen Handel und trieb die Inflation in die Höhe. Immerhin ist dort ein modernes Auto der Marke „Pyeonghwa“ ausgestellt, das Produkt eines süd- und nordkoreanischen Joint Ventures unter Beteiligung der Moon-Sekte.
Als Folge der Wirtschaftskrise führte das Regime vor zehn Jahren marktwirtschaftliche Reformen ein, wie etwa die Erlaubnis zur Gründung kleiner Dienstleistungsunternehmen. Seit 2005 fährt Kim Jong Il die Reformen jedoch zurück: Einige meinen sogar, er wolle sie bis zu den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag seines Vater im kommenden Jahr gänzlich kassieren, was nach Ansicht von Rüdiger Frank gar nicht mehr funktioniert: „In den Köpfen hat ein enormer, und wie ich meine, irreversibler Wandel stattgefunden.“ Die Menschen machen sich heute Gedanken über Geld und fragen sich, was sie verkaufen können. „Vor 20 Jahren konnte kaum jemand etwas mit Handel anfangen.“
Freie Märkte existieren nach wie vor. Sie sind für die Bevölkerung lebenswichtig, dem Regime jedoch ein Dorn im Auge: „Deshalb schikaniert man Händler auf kleineren freien Märkten“, sagt Hanns Günther Hilpert, Asienforscher der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). „Die Angst ist da, dass eine wirtschaftliche Liberalisierung zu mehr politischen Freiheiten führt.“ Deshalb versucht das Regime, Investoren mit Billiglöhnen in Sonderwirtschaftszonen zu locken, die es gut kontrollieren kann und wo nur wenige Kontakte zu Einheimischen bestehen. Doch einzig das Industriegebiet von Kaesong nahe der Grenze zu Südkorea zieht bislang ausländische Investoren in größerem Stil an, andere Gebiete bleiben hinter den Erwartungen zurück. Von den Plänen einer Sonderwirtschaftszone in Sinuiju an der chinesischen Grenze hört man aktuell nur noch wenig.
Solange die Landwirtschaft selbst unter guten Bedingungen nur maximal 80 Prozent der Grundnahrungsmittel liefern kann und die Industrie am Boden liegt, bleibt die Misere der Versorgungslage bestehen. Nach Schätzungen verteilt der Staat täglich 200 bis 300 Gramm Reis pro Person. Den Rest besorgen sich die Menschen auf den Märkten, wenn sie Geld haben, oder aus dem eigenen Küchengarten. In Pjöngjang pflanzen die Bewohner ihren Kohl sogar in stillgelegten und verrotteten Industrieanlagen an, viele funktionieren ihren Balkon zum Hühnerstall um. Nur wer Devisen im Portemonnaie hat, kann sich Importprodukte leisten: In der Hauptstadt verkauft ein Supermarkt deutsche Produkte, wie „Meica Würstchen“ oder „Balea Haarwachs“. Importeur ist die deutsche Firma Helia. Auch der Hamburger Holz- und Papierhändler Gratenau und Hesselbacher kann sich ein Engagement in Nordkorea vorstellen, Vertreter waren kürzlich auf einer Messe in Pjöngjang, worüber die Propaganda-Zeitung „Pjöngjang Times“ gleich euphorisch berichtete.
Das alles sind jedoch kaum mehr als einzelne marktwirtschaftliche Vorstöße in einem Land, dessen Führer um die Macht seines wahrscheinlichen Nachfolgers und Sohnes Kim Jong Un fürchtet – und damit um die Macht seiner Familie. „Wenn man die Ahnenreihe weitergeht, werden die folgenden Personen an Strahlkraft einbüßen“, sagt Rüdiger Frank. Kim Il Sung werde als eine Art Gott gesehen, Kim Jong Il als Apostel und Kim Jong Un als Papst. „Reformen bringen zwangsläufig auch politische und ökonomische Risiken mit sich“, sagt Rüdiger Frank. Kim Jong Il baut deshalb lieber auf den Personenkult um seinen verstorbenen Vater statt auf marktwirtschaftliche Experimente.