Von Martin Benninghoff
Schon seit Monaten putzt sich Pjöngjang heraus: An jeder Ecke werden die Fassaden der heruntergekommenen Plattenbauten gestrichen. Auf dem Kim-Il-sung-Platz im Zentrum strecken und dehnen sich Schülerinnen in schwarzen Gymnastikanzügen zur Marschmusik, die aus einem antiquierten Kassettenrekorder herüberschallt. Die Mädchen üben für eine Parade – nicht für irgendeine, sondern für eine Parade zu Ehren des „Großen Führers“ Kim Il-sung, der laut Verfassung „Ewiger Präsident“ Nordkoreas ist, obwohl er 1994 an einer Herzattacke verstarb.
An ihm kommt bis heute keiner vorbei – kein Entrinnen, kein Fluchtgedanke. In jedem Provinzdorf eine riesenhafte Statue, die nachts im Licht erstrahlt, derweil die Häuser in der Dunkelheit des Strommangels versinken.
Kim Il-sung wäre im April 2012 100 Jahre alt geworden – noch heute überstrahlt der Diktator alles und jeden, auch seinen Sohn, den am Wochenende verstorbenen Kim Jong-il. Dieser brauchte stets den Glanz des Vaters, um selbst Macht ausüben zu können.
Pjöngjang mit seinen mehr als drei Millionen Einwohnern wird beim kommenden Jubiläum als Aufmarschplatz für die Paraden, Massengymnastik und die Ausstellungen mit den eigens gezüchteten Nationalblumen Kimilsungia und Kimjongilia dienen. Eine Stadt, deren vielspurige Straßen mehr der Prachtdemonstration als dem Verkehr dienen.
Die Anreise aus Peking erfolgt mit dem Zug und dauert knapp 30 Stunden, vier Stunden länger, als der Fahrplan vorsieht. Auf den letzten 250 Kilometern kriecht der Zug mehr, als er fährt. Immer wieder bleibt er stehen, weil die marode Oberleitung kaum genug Strom liefert, um die alte Sowjet-Lok anzutreiben. Die außerplanmäßigen Stopps erlauben immerhin kurze Streifzüge an der Bahntrasse entlang, vorbei an Bauern, die mit alten Spaten oder bloßen Händen im Erdreich wühlen. Einer findet ein paar Kartoffeln und steckt sie in die Jackentasche.
„Wie China unter Mao“
Einige Stunden zuvor in der chinesischen Grenzstadt Dandong: Die futuristische Skyline glitzert in der Mittagssonne, Chinesen flanieren an der schicken Uferpromenade und wagen einen Blick über den Fluss Yalu nach Nordkorea, das, wie ein Geschäftsmann aus Schanghai erzählt, „sehr an China unter Mao erinnert“ – ein Trip ins realsozialistische Freilichtmuseum. „Chinas Zöllner sind besonders freundlich“, lacht der Chinese, „um sich von den Nordkoreanern abzugrenzen.“
Sinuiju, die Stadt auf der nordkoreanischen Seite, wirkt wie ein Gegenentwurf: graue Betongebäude, seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert. Der Zöllner, überhaupt nicht unfreundlich, öffnet Reisetaschen, inspiziert Kameras und Laptops. „Internet?“, fragt er. Nein, also nickt er zufrieden. Das Handy wird in dickes Klebeband gewickelt und mit einem amtlichen Stempel versiegelt. Auspacken darf man es erst wieder bei der Ausreise aus dem Land.
Am späten Abend erreicht der Zug den Bahnhof von Pjöngjang, der stark an die Kulisse eines Kriegsheimkehrer-Epos erinnert: Frauen und Männer – viele tragen Uniformen – stehen in einer langen Schlange vor einem Posten, der akribisch die Papiere kontrolliert. Sie dürfen nicht einfach von A nach B reisen: Dazu benötigen sie eine Genehmigung, die sie nur für einen triftigen Grund bekommen – etwa die Hochzeit der Schwester. Auch Ausländer dürfen sich nicht frei bewegen, sie werden auf Schritt und Tritt von Guides begleitet.
Ein bisschen Freiheit darf man dann doch genießen: Auf einer kleinen Insel im Fluss Taedong steht eines von zwei Luxushotels für Ausländer: das Yanggakdo. 47 Stockwerke mit einem Panoramarestaurant auf dem Dach, das sich aber wegen des Strommangels nur selten dreht. Neuerdings ist hier der englische Sender BBC zu empfangen, auch Telefonate nach Europa sind möglich: zwölf Euro für drei Minuten.
Außer zum Arirang Festival, einer Massengymnastik-Veranstaltung im Fußballstadion, kommen nur wenige Ausländer nach Nordkorea: 5000 bis 6000 Europäer und Amerikaner im Jahr. Es sollen mehr werden: Für das Geburtstagsspektakel im nächsten Jahr will die Fluggesellschaft Air Koryo sogar nach Berlin fliegen – und zwar mit neuen Tupolevs, zuvor hatte die Airline aus Sicherheitsgründen EU-Einreiseverbot.
Auch ausländische Investoren trifft man vereinzelt an, etwa einen Manager, der für die ägyptische Orascom arbeitet. Die Holding investiert in die größte Ruine Nordkoreas, das 337 Meter hohe Ryugyong-Hotel im Herzen Pjöngjangs. Mit 3000 Zimmern sollte es einmal das größte Hotel der Welt werden – eine gigantische Pyramide aus Beton und Glas, ursprünglich geplant für den 80. Geburtstag Kim Il-sungs 1992 – doch dem „Großen Führer“ ging 1991 das Geld aus.
Orascom bezahlt nun den Weiterbau der Pyramide, deren bläuliche Glasfassade ein Hingucker werden soll. „Mehr als ein paar ausgebaute Etagen wird es aber nicht geben“, erzählt der Manager. „Wo sollen auch all die Hotelgäste herkommen?“
Für Orascom ist das Riesenhotel kaum mehr als eine Investition für einen anderen Deal: Das Unternehmen durfte das nordkoreanische Handynetz Koryolink aufbauen, das in einigen Großstädten gut funktioniert. Man sieht etliche Menschen mit Handys – ein Privileg der Mittelschicht. Für den Erfolg dieses marktwirtschaftlichen Feldversuchs hat das Regime sogar das Werbeverbot gelockert. Wo sonst nur Slogans wie „Es fehlt uns an nichts“ an den Fassaden stehen, kleben nun Nordkoreas erste kommerzielle Werbeplakate.
Es sieht jedoch nicht danach aus, dass aus diesen kleinen Freiheiten demnächst größere erwachsen könnten. Die Menschen sind nach wie vor im propagandistischen Würgegriff: Sie arbeiten an sechs Tagen pro Woche; alle Angestellten müssen am Samstag zur „politischen Schulung“.
Besuch am Sarkophag
Für die Propaganda und die Hundertjahrfeier Kim Il-sungs ist der ehemalige Präsidentenpalast das Herzstück, gleichsam ein ersatzreligiöser Schrein: Bis man am Sarkophag des „Großen Führers“ ankommt, legt man hunderte Meter auf Laufbändern durch Marmorsäle zurück, beschallt durch martialische Marschmusik.
Die Nordkoreaner tragen ihre besten Kleider. In Gruppen durchschreiten sie einen Windkanal, der die Kleidung vom Straßenstaub befreit. In dem Saal dahinter sind Licht und Musik gedämpft. Keiner spricht, keiner flüstert. Ein paar Koreaner weinen leise am Sarg Kim Il-sungs, dessen Leichnam aufgebahrt ist, halb bedeckt von der Flagge der Kommunistischen Partei. Jeder muss den Sarg umrunden und sich dreimal verbeugen.
Ein Kult, der sich beim nun verstorbenen Kim Jong-il und später einmal bei dessen wahrscheinlichem Nachfolger Kim Jong-un wohl verflüchtigen wird. (DER STANDARD Printausgabe, 20.12.2011)