In dichtem Schneetreiben inszeniert das nordkoreanische Regime die Trauerzeremonie für den gestorbenen Diktator. (Erschienen im „Kölner Stadt-Anzeiger„, 29.12.2011)
Von Martin Benninghoff
Eigentlich hätte der pompöse Propagandazug erst im kommenden April durch Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang ziehen sollen. Dann wäre der Staatsgründer Kim Il Sung, der 1994 verstorben ist, 100 Jahre alt geworden. Schon im Oktober dieses Jahres übten die Schulkinder für die Masseninszenierung. Auf dem zentralen Platz in Pjöngjang, dem Kim-Il-Sung-Platz, trainierten sie für die durchchoreographierte Massengymnastik. Die Hauptstadt wurde auf Vordermann gebracht, überall renovierten die Bewohner die Fassaden der Häuser und Soldaten besserten die Straßenlöcher aus.
Die Vorbereitungen waren nicht umsonst, im Gegenteil, dem nordkoreanischen Regime kommen sie nun sehr gelegen: Zehntausende Menschen nahmen an Mittwoch Abschied von Kim Il Sungs Sohn, Machthaber Kim Jong Il, der am 17. Dezember überraschend an einem Herzinfarkt verstorben war. Das Staatsfernsehen zeigte Bilder von weinenden Menschen, die die Straßen Pjöngjangs säumten, als der Autokorso mit dem Sarg des Despoten vorüberrollte.
Mittelpunkt der sorgfältig choreographierten Trauerzeremonie war Kims Sohn Kim Jong Un, der designierte Nachfolger seines Vaters. Mit einer Hand am Leichenwagen, die andere zum Gruß erhoben, führte er den Trauerzug an. Der Sarg war in die Flagge der Kommunistischen Partei eingewickelt.
Der junge neue Führer, der eigentlich langsam hätte zum Nachfolger aufgebaut werden sollen, wurde von Jang Song Thaek begleitet, Kim Jong Ils Schwager und stellvertretender Vorsitzender der mächtigen Nationalen Verteidigungskommission. Dahinter ging der Stabschef der Armee, Ri Yong Ho. Die Choreografie kommt nicht von ungefähr: Experten erwarten, dass Jang eine zentrale Rolle im Machtgefüge des sich nach außen hin geheimnisvoll gebenden Regimes spielen wird. Und Ris Anwesenheit lässt auf eine wichtige Rolle des Militärs schließen. Die beiden anderen Söhne des Verstorbenen, Kim Jong Nam und Kim Jong Chol, traten bei der Zeremonie am Mittwoch nicht öffentlich in Erscheinung.
Ausgangspunkt und Ziel des Trauerzugs war der Gedenkpalast Kumsusan, in dem die Leiche Kim Jong Ils in den vergangenen Tagen aufgebahrt war und in der auch die sterblichen Überreste von dessen Vater Kim Il Sung konserviert sind. Der Palast ist der ehemalige Präsidentenpalast des Staatsgründers, den Kim Jong Il 1994 zu einem ersatzreligiösen Edelschrein umbauen ließ – und wo er nun wahrscheinlich selbst aufgebahrt wird. Hunderte Meter fährt man über Laufbänder durch marmorne Säle, in Stimmung gebracht durch martialische Marschmusik. Normalerweise müssen die Nordkoreaner ein oder zweimal im Jahr hierherkommen, um Kim Il Sung zu gedenken. Künftig werden sie dies auch für den Sohn tun.
Um in das Innere des Palastes zu gelangen, ist eine aufwendige Prozedur notwendig: Zunächst wird man durchsucht wie an einem Flughafen. Dann läuft man über elektrisch betriebene Bürsten, die die Schuhe von unten säubern. Schließlich wird einem ein Tonband gereicht: „Die ganze Welt trauerte, als der größte Führer aller Zeiten von uns ging“, spricht eine Stimme sogar auf Deutsch. In Zukunft wird der Text sicherlich auch um den „zweitgrößten Führer aller Zeiten“, Kim Jong Il, erweitert werden. Dann durchschreitet man einen Windkanal, der den Staub von den Anzügen bläst – die Nordkoreaner tragen ihre besten Kleider. In dem Saal dahinter sind Licht und Musik gedämpft, am Sarg Kim Il Sungs müssen sich die Menschen dreimal verbeugen. Ob das Ritual auf den Sohn übertragen wird, bleibt abzuwarten.
Die Inszenierung am Mittwoch lässt jedenfalls darauf schließen, dass der Personenkult um die Kims weitergehen wird. Die Fernsehbilder zeigten schluchzende Bürger in dichtem Schneetreiben, die von Tränen geschüttelt „Vater, Vater“ riefen. „Die Menschen weinen Blut und Tränen“, sagte ein Soldat im Staatsfernsehen. „Wenn ich den weißen Schnee fallen sehe, muss ich an die Errungenschaften des Generals denken, und das treibt mir die Tränen in die Augen“, sagte eine Soldatin. Zu den Mythen um den gestorbenen Herrscher zählte dessen angebliche Fähigkeit, das Wetter zu beeinflussen. Im Zusammenhang mit seinem Tod hatten die Medien von ungewöhnlicher Kälte berichtet. „Selbst der Himmel weine“, hieß es im Fernsehen.
Offenbar sind zur Trauerfeier etliche Geschäftsleute und Händler, die zwischen Pjöngjang und China mit dem Zug pendeln, zurück in die Hauptstadt gekommen. Aus der chinesischen Grenzstadt Dandong, die mit ihrer modernen Skyline ein Kontrast zur heruntergekommen nordkoreanischen Grenzstadt an der anderen Seite des Grenzflusses, Sinuiju, ist, wird berichtet, dass in den vergangenen Tagen die Blumen ausgegangen seien. „Das Geschäft läuft richtig gut“, sagte der Florist Sun der Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch. Viele Nordkoreaner, die in Dandong leben und Handel treiben, sollen nach Medienberichten zu der Trauerfeier nach Pjöngjang beordert worden sein. Dandong im Nordkosten Chinas ist Haupthandelsportal für Öl und Nahrungsmittel zwischen China und dem verarmten Nordkorea.
Gerade in letzter Zeit hatte das kommunistische Regime in Pjöngjang um verstärkte Investitionen aus China, Europa, Südostasien und dem Mittleren Osten geworben. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt dem US-Außenministerium zufolge bei knapp 1400 Euro, im Vergleich zu 3400 Euro in China und rund 17 600 Euro in Südkorea.
Die Ernährungskrise hat sich nach Schlechtwetterperioden noch vertieft; ein Viertel der 24 Millionen Einwohner sind nach Angaben der Vereinten Nationen auf Nahrungsmittelhilfe aus dem Ausland angewiesen. Die Unterernährung gerade bei Kindern nimmt sprunghaft zu. Mit dringend notwendigen Wirtschaftsreformen unter Kim Jong Un wird aber nicht zu rechnen sein. Der neue Führer wird zunächst alles daran setzen, seine Macht zu festigen. (mit afp, dpa, rtr)