Analyse erschienen bei FAZ.NET (13.04.2017)
Von Martin Benninghoff
Ob Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un am Samstag eine neue Atombombe zündet oder nicht: Der Konflikt mit Amerika könnte zu einem großen Krieg ausarten, wenn rote Linien überschritten werden.
Der nächste Atomwaffentest Nordkoreas könnte unmittelbar bevorstehen: Zumindest deuten darauf Satellitenaufnahmen vom 12. April hin, die erhöhte Aktivitäten auf dem nuklearen Testgelände Punggye-ri zeigen, wie die meist gut informierten Nordkorea-Analysten des amerikanischen Korea-Institutes der John-Hopkins-Universität in Washington berichten. Vor allem am Nordportal der Anlage, ebenso wie im Hauptverwaltungsbereich.
Reporter können sich vor Ort davon kein Bild machen. Das Gelände ist ein hermetisch abgeriegelter Sicherheitsbereich im entlegenen Nordosten des Landes, gut 200 Kilometer von der russischen und 100 Kilometer von der chinesischen Grenze entfernt. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass vergleichbare Aktivitäten ein guter Indikator für einen bevorstehenden Atombombentest sind. Dem Test 2013 gingen wochenlang Bewegungen von Lasttransportern auf dem Gelände voraus. Erdbebenwarten in China oder Südkorea haben die tatsächliche Zündung der Bombe dann aufgezeichnet – die Höhe der seismischen Aktivitäten ließ Rückschlüsse auf die Durchschlagkraft der Bombe zu.
Hinzu kommt: Am Samstag gibt es in Nordkorea etwas zu feiern. Und Symbolik ist in der stalinistisch regierten Diktatur keine Petitesse, sondern ein zentrales Element politischen Handelns. Als sich das Land 2012 offiziell zur Atommacht erklärte, geschah dies im Umfeld der Feierlichkeiten des hundertsten Geburtstages von Staatsgründer Kim Il-sung. Der Großvater des amtierenden Diktators Kim Jong-un soll schon während des Korea-Krieges 1950 bis 1953 davon geträumt haben, Anführer einer starken Atommacht zu sein.
Die Phase der Machtkonsolidierung ist vorbei
Am Samstag wäre Kim Il-sung 105 Jahre alt geworden, wäre er nicht bereits 1994 an einem wenig heroischen Herzinfarkt in seinem Pjöngjanger Arbeitszimmer verstorben. Sein Enkel setzt nun alles daran, den Traum des Großvaters endgültig umzusetzen. Nach der Phase seiner Machtkonsolidierung innerhalb des Staatsapparates – er ließ den Vertrauten seines Vaters Kim Jong-il, seinen Onkel Jan Song-thaek, hinrichten, und wahrscheinlich auch seinen Halbbruder Kim Jong-nam. Mitte Februar in Malaysia vergiften –, erhöht Kim nun den Druck nach außen, indem er die Schlagzahl nuklearer Tests erhöht. Seit den beiden Atomtests 2006 und 2009, die noch sein 2011 verstorbener Vater angeordnet hatte, gab es noch vermutlich drei weitere – in immer kürzeren Abständen.
Aus Sicht der nordkoreanischen Führung dienen die Tests mehreren Zielen: Zuerst ist die Bombe eine Sicherheitsgarantie gegen einen möglichen „regime change“ durch die Amerikaner, die Schutzmacht Südkoreas. Schon der Zusammenbruch des Ostblocks und der Sowjetunion war für die Führung in Pjöngjang, damals noch unter Kim Il-sung, ein politisches Trauma. War die Sowjetunion noch eine Macht, die zum Schluss Amerika in wirtschaftlicher Hinsicht nicht mehr viel entgegenzusetzen hatte, so stürzten in der Folge Machthaber wie Iraks Saddam Hussein und Libyens Muammar Gaddafi, die Amerika in militärischer Hinsicht deutlich unterlegen waren. Zuletzt musste Syriens Präsident Baschar al Assad einen amerikanischen Luftschlag auf eine seiner Luftwaffenbasen tatenlos hinnehmen. Selbst die Russen mit ihren in Syrien stationierten Luftabwehrsystemen konnten sich angesichts des Militärschlags mit zahlreichen hochpräzisen Lenkflugkörpern nur im Nachhinein beschweren, ihn aber nicht verhindern.
Zudem schöpft Pjöngjang sein Haupt-Propagandamaterial aus der amerikanischen Bedrohung: Wer in Nordkorea Schulen und Kindergärten besucht, stößt nicht nur auf die vielen von Kinderhand gemalten Atomraketen, sondern auch auf allgegenwärtigen Anti-Amerikanismus. Der amerikanische Soldat als „größter Feind“ und „Unglücksbringer“ für die Kinder Nordkoreas – gefolgt von „verschlagenen Japanern“ und naiven „Vasallen“ aus Südkorea. Von dieser Erzählung wird Kim Jong-un nicht leichtfertig die Finger lassen, sie hält den Staatsapparat von innen zusammen.
Der wirtschaftliche Aufstieg ist mit dem Status als Atommacht verbunden
Wird sich Nordkorea also durch Drohungen einschüchtern lassen? Vermutlich nicht, denn nur solange das Regime mit Atombomben drohen kann, ist ihm die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft, allen voran Amerikas, gewiss. Eine Aufmerksamkeit, die Kim Jong-un in diplomatische und wirtschaftliche Gewinne ummünzen will. So lässt sich zumindest eine Äußerung deuten, die er im März 2013 auf einer Tagung des Zentralkomitees seiner Arbeiterpartei fallen ließ: Der Status als Atommacht und der wirtschaftliche Aufstieg Nordkoreas seien untrennbar miteinander verbunden.
Wie das? Nach der Logik Kims erhöhen Kernwaffen den diplomatischen Spielraum, was derzeit deutlich zu sehen ist: Donald Trump hat den chinesischen Präsidenten Xi Jinping in der vergangenen Woche öffentlich aufgefordert, in Sachen Nordkorea endlich aktiv zu werden. Xi wiederum war über das offensive Vorgehen Trumps offenkundig wenig erfreut. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge rief er den amerikanischen Präsidenten zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes auf. Zwar untersagte er auch die Kohle- und Erzimporte aus Nordkorea, aber das sind alles Kleinigkeiten, zumal China auch schon in der Vergangenheit Strafmaßnahmen gegen Nordkorea erließ. Zum Beispiel, als es die Grenzen für chinesische Touristen schließen ließ, um den neu gewachsenen Tourismussektor (Skigebiete und Kasinos für Chinesen) ins Mark zu treffen. Ein grundlegender Politikwechsel Chinas ist nicht zu erkennen.
Stattdessen bringt Trump ungewollt die beiden Großmacht-Kontrahenten China und Russland näher zueinander. Das Verhältnis zwischen Moskau und Washington ist nach dem amerikanischen Luftschlag gegen Syrien ohnehin an einem Tiefpunkt angelangt. Der russische Außenminister Lawrow warnte die Amerikaner vor einem einseitigen Vorgehen auch gegen Nordkorea, China blies ins selbe Horn. Obwohl sowohl China als auch Russland immer wieder deutlich warnende Worte in Richtung Kim Jong-un verlieren, hat dieser in diesen Tagen eher wieder zwei „alte neue“ Verbündete gewonnen.
Die Situation ist verfahren: Nordkorea wird an seinem Atomprogramm festhalten und es ausbauen. Um den Druck zu erhöhen, wird es versuchen, die Raketentechnologie im Langstreckenbereich zu verbessern, um amerikanisches Territorium erreichen zu können. Zudem wird das Regime alles daran setzen, die Sprengkraft mit Wasserstoffbomben um ein Vielfaches zu erhöhen. Im Januar 2016 registrierten amerikanische und chinesische Erdbebenwarten seismische Aktivitäten, die von dem Testgelände Punggye-ri ausgingen. Nordkorea behauptete, eine Wasserstoffbombe gezündet zu haben, was amerikanische Experten zurückwiesen: Zu schwach sei die Erschütterung gewesen.
Die Ungewissheit über die tatsächliche Schlagkraft spielt dem nordkoreanischen Regime eher in die Hände. Zudem verfügt das Land – was oftmals vergessen wird – über eine riesige konventionelle Armee, nach der chinesischen die zweitgrößte Asiens. In einem Bericht des Pentagon von 2012 heißt es, das Land verfüge über mehr als 4000 Panzer und 730 (wenn auch veraltete) Kampfflugzeuge. Mehr als 1 Million Soldaten sollen immer in Waffen stehen, und das Volk ist durch jahrelange Propaganda im permanenten Kriegsmodus. Leidtragender einer militärischen Eskalation wäre zuerst der Nachbar Südkorea, die Hauptstadt Seoul befindet sich nur unweit der innerkoreanischen Grenze.
Nordkoreanischer Angriff eher unwahrscheinlich
Geht man davon aus, dass Kim Jong-un und sein Regime (in ihrem Interesse) halbwegs rationale Entscheidungen treffen, dann ist ein Angriff von Nordkoreas Seite aus eher unwahrscheinlich. Denn das hätte unweigerlich den Sturz der Kim-Dynastie, die das Land in dritter Generation regiert, zur Folge. Insofern wäre es auch eine rote Linie für Kim, nukleares Material und entsprechende Technologien an Terrorgruppen wie den „Islamischen Staat“ zu verkaufen. Das wäre für Amerika ein sicherer Kriegsgrund. Der renommierte Nordkorea-Forscher Rüdiger Frank plädiert deshalb dafür, Nordkorea Wege zu lassen, auf legalem Wege Geld zu verdienen. Wer klug sei, lasse der Gegenseite immer einen Ausweg.
Wie könnte dieser aussehen? Der von Amerika gen Korea geschickte Flottenverband lässt eher darauf schließen, dass Donald Trump den Konflikt militärisch lösen will. Oder ist das die ultimative Drohung, um Nordkorea zum Einlenken zu bewegen? Schon die Regierung unter Präsident Bill Clinton hatte 1993 mit einem militärischen Schlag gegen den Atomreaktor Yongbyon gedroht – und war kurz davor, die Drohung in die Tat umzusetzen. Dem ebenfalls früheren Präsidenten Jimmy Carter gelang es damals, einen Kompromiss auszuhandeln, der möglicherweise einen neuen Korea-Krieg verhinderte: Für Rohöllieferungen und den Bau von Leichtwasserreaktoren verpflichtete sich das Kim-Regime zur nuklearen Abrüstung. Ein Deal, der allerdings nicht lange hielt.
Aber welcher Präsident wäre besser geeignet, einen neuen Deal ins Auge zu fassen? Nordkorea ist im Kern ein Industrieland, allerdings mit veralteten Anlagen. Der „Dealmaker“ Trump hätte auf dem wirtschaftlichen Parkett einiges anzubieten, was für das devisenschwache Regime in Pjöngjang Anreiz genug sein könnte, über ein neuerliches Abrüstungspaket zu verhandeln. Bis dahin wird Kim Jong-un allerdings weiter an der Bombe bauen – und aller Welt vor Augen führen. Ob sie am Samstag oder erst in einigen Wochen gezündet wird, sei dahingestellt.